„Wanderer achte Natur und Kunst“
Im Berliner Ortsteil Biesdorf erinnert vieles an die Industriellenfamilie Siemens


Das Teehäuschen im Biesdorfer Schlosspark wurde nach historischen Vorlagen originalgetreu restauriert. (Foto: Caspar)

Schloss und Park Biesdorf, an der Bundesstraße 1/5 im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf gelegen, haben die unterschiedlichsten Besitzer und Nutzungen gehabt. Hochherrschaftlicher Sommersitz in der Art einer italienischen Villa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, Wohnung für Obdachlose und Dienstgebäude einer Polizeihundertschaft nach dem Ersten Weltkrieg, sodann in der Nazizeit Sitz einer Ortsgruppe der NSDAP und sowie Dienststelle der Polizei und der Gestapo. Nach dem Zweiten Weltkrieg kurzzeitig war das Schloss russische Kommandantur, und in DDR-Zeiten hatte es als Kulturhaus einen guten Ruf, während der weitläufige Garten als Kulturpark seine Freunde fand. Jede Epoche hinterließ Spuren und Wunden. Nichts von der ehemaligen reichen Ausstattung ist erhalten, denn das Haus hat große Verluste hinnehmen müssen. Während der Landschaftspark weitgehend von der Berliner Gartendenkmalpflege in den historischen Formen wiederhergestellt ist, zeigt sich das Schloss mit seinem die Bäume überragenden Aussichtsturm nach wie vor als ernster Pflegefall. Engagierte Heimatfreunde und das Sozial-kulturelle Zentrum BALL e. V. kämpfen um den Erhalt des Bauwerks, das seit 1927 städtischer Besitz ist. Nach und nach sieht man Erfolge der denkmalgerechten Restaurierung des Hauses.

Untrennbar ist Biesdorf mit der Geschichte eines Weltkonzerns verbunden. Hier lebte und arbeitete Wilhelm von Siemens (1855-1919), der zweitälteste Sohn des berühmten Firmengründers und Erfinders Werner von Siemens. Eine Büste im Park erinnert an den Vater, und auch sonst sind die ursprünglichen Besitzer nicht vergessen. Eine kleine Ausstellung im Schloss erinnert an die Industriellenfamilie und zeigt, was Wilhelm von Siemens auf seinem Sommersitz damals weit vor der Reichshauptstadt tat.

Werner Siemens (seit 1888 „von“ Siemens) hatte das Gut Biesdorf im Jahre 1889 für seinen Sohn Wilhelm gekauft, der Mitinhaber der Firma Siemens & Halske war. Die Gemahlin des Schlossbesitzers betrieb auf der anderen Seite der heutigen Bundesstraße eine Landwirtschaft. Mittelpunkt des weitläufigen Anwesens war das Schloss, ein Werk des seinerzeit sehr bekannten Architekten Heino Schmieden aus dem Jahr 1867/68 für den Gutsbesitzer Hans-Hermann von Rüxleben. Alte Zeichnungen und Fotos zeigen die einstige Pracht des spätklassizistischen Bauwerks, das ein wenig an die italienischen Villen und Kirchen erinnert, die der preußische König Friedrich Wilhelm IV. in den Potsdamer Schlossgärten errichten ließ.

Wilhelm von Siemens ließ das Haus repräsentativ von dem Architekten Theodor Astfalck um- und ausbauen. Pläne und Ansichten sind erhalten und dienen heute der sukzessiven Restaurierung der Außenfassade und der inneren Raumstruktur. Dieser Aufgabe hat sich Günter Peters, der Vorsitzende der Stiftung Ost-West-Begegnungsstätte Schloss Biesdorf e. V. und zugleich des Heimatvereins Marzahn-Hellersdorf e. V., verschrieben. Der 75jährige ist vom Fach. Als Architekt war er maßgeblich am Wiederaufbau der Staatsoper, des Kronprinzenpalais und anderer Bauwerke beteiligt. Ausserdem bestimmte er als Berliner Stadtbaudirektor wesentlich das Antlitz der damaligen DDR-Hauptstadt mit. So etwas wie Ruhestand kennt Peters nicht, ihn treibt die Sorge um das Biesdorfer Schloss um. Auf mindestens zehn Millionen Euro schätzt er die Wiederaufbaukosten. Der größte Posten ist die Wiederherstellung des im April 1945, noch kurz vor der Befreiung, durch einen Brand zerstörten ersten Obergeschosses und des Dachbereichs. Das Feuer entstand, als NSDAP und Polizei brisante Akten vernichten wollten. Zum Glück bekam das Haus ein schützendes Dach, als es von der Roten Armee genutzt wurde. Bis heute hat es gehalten.

Gartendenkmalpfleger setzen all ihr Können darein, den ursprünglichen Zustand des Parks zurück zu gewinnen. 1998 wurde gleich das Siemens’sche Teehäuschen rekonstruiert, ein bizarres Gebilde aus Robinienstämmen und Birkenästen unter hohem Schindeldach. „Wanderer achte Natur und Kunst und schone ihrer Werke“, lautet eine in Holz geschnitzte Inschrift. Wiederhergestellt ist auch der Lese- und Ruhegarten gegenüber diesem Holzpavillon. Ursprünglich besaß die Industriellenfamilie hier einen Tennisplatz, der von der Stadt Berlin in einen kleinen Erholungsgarten mit Bänken umgestaltet wurde. Nach alten Vorlagen wurde auch der als Aussichtsplattform gestaltete Eiskeller rekonstruiert.

Bei der Aufarbeitung der Geschichte von Schloss und Park Biesdorf zeigt sich, wie zählebig manche Legenden aus der Zeit sind, da hier die Familie Siemens das Sagen hatte. Unwahr ist, dass um 1900 vom Schlossturm in Richtung Wünsdorf Versuche mit drahtloser Telegrafie stattgefunden haben. Auch die immer wieder gehörte Behauptung, Wilhelm von Siemens habe in seinem Schlossgarten in Vorbereitung des Berliner U-Bahnbaues elektrische Fahrzeuge getestet, gehört ins Reich der Märchen. Wahr hingegen ist, dass der Industrielle auf seinem Gut im Bereich von Biesdorf-Süd an der Grenze zu Lichtenberg eine riesige Halle für Luftschiffe errichten ließ. Sie konnte gedreht werden je nach Standort der zur Erde zurück gekehrten „silbernen Zigarren“, so der Spitzname der vom Grafen Zeppelin konstruierten Zeppeline. So wurde, was wenig bekannt ist, Anfang des 20. Jahrhunderts in Biesdorf ein Stück Luftfahrtgeschichte geschrieben. Im Schloss hat Wilhelm von Siemens über Pläne für die Siemensstadt und weitere Berliner Industriestandorte gebrütet und auch den Ausbau seiner Firma zu einem Konzern von Weltrang voran getrieben. Auch sonst war der Schlossherr innovativ, was seinen persönlichen Komfort betraf. So nutzte er die Möglichkeiten der Elektrizität für die landwirtschaftliche Geräte auf seinem Gut, etwa Dreschmaschinen. Dass er seinen Besitz draußen vor der Stadt mit selbst erzeugtem Strom beleuchtete, war für ihn selbstverständlich.

Helmut Caspar

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