„Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ -
Neues Buch mit einer Hommage an das 300 Jahre alte Charlottenburg



Ausgangspunkt für den Aufstieg Charlottenburgs ist das barocke Schloß, in dem die Namensgeberin Sophie Charlotte vor über 300 Jahren einen berühmten Musenhof unterhielt. (Foto: Caspar)

Als vor 300 Jahren das Dorf Lietzenburg in Charlottenburg umbenannt wurde, um dauerhaft an die eben verstorbene erste preußische Königin Sophie Charlotte zu erinnern, gab es außer dem barocken Schloß und ein paar Kavaliershäusern darum nur „Gegend“, also Felder und Wälder, Wiesen und Wasser. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die verträumte Residenzstadt vor den Toren Berlins zu Preußens reichster Kommune mit einem ungewöhnlich hohen Pro-Kopf-Einkommen und vielen prominenten Einwohnern. Wie das geschah, ist Gegenstand eines neuen Buches, das unter dem Titel „Charlottenburg im Wandel der Geschichte – Vom Dorf zum eleganten Westen“ pünktlich zu Charlottenburgs Dreihundertjahrfeier im be.bra-Verlag erschien (144 Seiten und zahlreiche Abbildungen, 15,90 Euro, ISBN 3-8148-0138-5).

Die Verfasser Kimmel und Ronald Oesterreich schlagen in ihrem Stadtrundgang einen Bogen von Sophie Charlottes Musenhof und seinen illustren Gästen bis in die Nachkriegszeit, als es noch hieß „Ich hab so Heimweh nach dem Kurfürstendamm“ und diese kaiserzeitliche Nobelmeile mit ihren eleganten Geschäften, Hotels und Kinos das Herz des alten West-Berlin und zeitweilig auch Blickpunkt der Welt war. Das Buch lädt ein zum Besuch in Alt-Lietzow, in den Kern des alten Charlottenburg, schildert den Lebensweg prominenter Charlottenburger, wirft einen Blick in große Unternehmen, die sich außerhalb der preußisch-deutschen Hauptstadt angesiedelt hatten und der Stadt, die bis 1920 selbstständig war, Wohlstand und Ansehen brachten.

Die Leser nehmen teil am Glamour rund um den in der Bismarckzeit angelegten Kurfürstendamm und schildern, wie die Gegend aussah, als vor 60 Jahren der Zweite Weltkrieg endete und auch Berlin in Trümmern lag. Ausführlich werden Glanz und Elend Charlottenburgs vor und nach 1933 geschildert mit Einzelheiten über die von den Nazis zur Selbstdarstellung genutzte Olympiade von 1936 und der Verfolgung jüdischer Mitbürger, denen systematisch der Hals zugeschnürt wurde, bevor die braunen Machthaber sie in die Vernichtungslager schickten.

Das Buch mit vielen, auch Insidern wohl kaum bekannten Informationen über den „Mythos Charlottenburg“ endet mit dem Bedeutungsverlust, den der Berliner Westen und mit ihm auch der Kurfürstendamm nach der Wende 1989/90 erlitten hat. Zwar stand die berühmte Einkaufs- und Flaniermeile nach dem Mauerfall kurz im Mittelpunkt des Geschehens, und man erinnert sich gern der leuchtenden Augen der Ost-Berliner und der Trabi-Schlangen mit blauen Rauchfahnen. Doch dann erwuchsen den Läden und Lokalen in anderen Bezirken, vor allem in Mitte und Prenzlauer Berg, neue Konkurrenz, und die Touristen entdeckten den Berliner Osten.

Die Charlottenburger aber wären keine Charlottenburger, würden sie nicht aus der Not eine Tugend machen und sich neue Wege ausdenken, die Anziehungskraft des Bezirks zu verbessern. Und so ist der Ausblick, den Kimmel und Osterreich geben, recht optimistisch. Berlin hat nun einmal nicht eine Mitte, sondern mehrere Zentren, und alle sind interessant und liebenswert. Eines davon ist das 300 Jahre alte Charlottenburg, dem die Autoren dieses lesenswerten Buches eine schöne Hommage geschrieben haben.

Helmut Caspar

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