Feuchte Kompressen für die Himmelswiese -
Mittelalterliche Heiliggeistkapelle an der Spandauer Straße in Berlin zeigt sich wieder in den schönsten Farben / Blick auf den originalen Dachstuhl



Die Heiliggeistkapelle in der Spandauer Straße im Bezirk Mitte, ein herausragendes Zeugnis der Backsteingotik, wurde in den vergangenen Jahren innen und außen saniert und restauriert.



Noch nicht ganz fertig gestellt, aber schon in seiner edlen Gestalt erkennbar ist der Innenraum der Heiliggeistkapelle an der Spandauer Straße in Berlin-Mitte. Die Eröffnung ist für den Herbst 2005 vorgesehen. (Fotos: Caspar)

Immer wenn in Berlins Mitte Leitungen verlegt und Baugruben ausgehoben werden, sind die Archäologen zur Stelle. Ihre Hoffnung auf Siedlungsreste oder Bestattungen ging an der Spandauer Straße mehrfach in Erfüllung. Spezialisten vom Landesdenkmalamt haben hier Reste eines zum Heiliggeisthospital gehörenden Armenfriedhofs gefunden. Unlängst kamen weitere Gebeine ans Tageslicht, als an einer Mauer der zur Humboldt-Universität gehörenden ehemaligen Handelshochschule, in die die 700 Jahre alte Heiliggeistkapelle als herausragendes mittelalterliches Bau- und Kunstdenkmal integriert ist, neue Lichtschächte angelegt wurden. Auch im Inneren des „domus sancti spiritus“, so der Name der karitativen Einrichtung in mittelalterlichen Urkunden, wurden die Archäologen erneut fündig.

Unter einem dicken Betonfußboden aus DDR-Zeiten entdeckten sie Reste eines aus quadratischen Steinziegeln gebildeten Belags, der noch aus 16. Jahrhundert stammt. Da zahlreiche Steine fehlten, wurde neue nach alten Vorbildern gebrannt und verlegt. Im Erdreich kamen Gräber zum Vorschein. Wenn sich der Adel und das Patriziat in den großen Stadtkirchen Sankt Marien, Sankt Nikolai und Sankt Petri bestatten ließ, so tat es das mittlere Bürgertum gern in der Heiliggeistkirche. Hingegen wurden die Stadtarmut sowie Opfer von Epidemien vor der Tür verscharrt, wie die vielen Armen- und Massengräber im Umfeld zeigen.

Schaut man in die Kapelle, ergibt sich ein prächtiger Anblick, vor allem wenn die Sonne durch die spitzbogigen Fenster scheint. Die Restauratoren haben hier im Wesentlichen ihre Arbeit getan, und auch die Bodenplatten sind komplett verlegt. Ihre Farbe korrespondiert mit dem „brillanten Ziegelrot“ der Kreuzrippen, aus denen das Gewölbe gebildet wird, wie Restaurator Jörg Breitenfeldt sagt. Dieser Farbton aus der Zeit um 1520 wurde nach Entfernung dicker Farbschichten nachgewiesen und neu aufgetragen. Er verleiht dem zu neuem Leben erweckten Raum eine großartige Feierlichkeit. Nur noch in Resten haben Breitenfeldt und seine Kollegen Ausmalungen zwischen den Kreuzrippen der Decke gefunden. Bis zu zwölf Lagen dicker Tünche mussten Millimeter für Millimeter abgetragen werden, mal mit feuchten Kompressen, mal mit dem Skalpell oder auch - wie beim Zahnarzt - mit feinen Ultraschallgeräten. Für alle überraschend traten Reste einer Himmelswiese hervor - Blumen, Blüten und Blätter.

Die Ornamente lassen ahnen, wie farbenfreudig und vielgestaltig der Raum vor einem halben Jahrtausend ausgemalt war. „Manch einer würde es gern sehen, wenn diese Reste bunt nachgemalt und phantasievoll ergänzt würden, doch das widerspricht denkmalpflegerischen Grundregeln“, sagt Restaurator Carsten Hüttich und zeigt auf eine andere Kostbarkeit der Kapelle, die spätgotischen Konsolen, auf denen die Kreuzrippen ruhen. Diese Auflagen aus gebranntem Ton stellen Gottvater, Maria, Jesus Christus und die Apostel dar und belegen die hohe Kunstfertigkeit und Dekorationsfreude, die man bei der Ausgestaltung der Kapelle, einem der ältesten Bauwerke Berlins, an den Tag legte. Und noch eine Attraktion ist zu sehen. Dafür aber muss man ins zweite Obergeschoss der aus der Kaiserzeit stammenden und heute von den Wirtschaftswissenschaftlern genutzten Handelshochschule gehen. Hier sind in eine Wand zwei Fenster eingelassen. Durch sie schaut man auf den weitgehend noch original erhaltenen Dachstuhl der Heiliggeistkapelle. Für die Architektin Ursula Höffer grenzt es an ein Wunder, dass die komplizierte Holzkonstruktion, deren Bestandteile nach einem dendrochronologischen Verfahren exakt auf das Jahr 1476 datiert werden kann, alle Stürme der Zeit überstanden hat und nun auch noch dem Publikum als architektonische Rarität ersten Ranges gezeigt werden kann.

Dass das jahrzehntelang vernachlässigte Gotteshaus mit der auffälligen Backsteinfassade aus dem Dornröschenschlaf erweckt wurde, ist staatlichem und bürgerschaftlichem Engagement zu verdanken. Unter den Mäzenen befinden sich die Cornelsen Kulturstiftung Berlin, die Deutsche Stiftung Denkmalschutz, die Deutsche Bank sowie private Spender. Die Humboldt-Universität als Besitzerin stand von Anfang an hinter dem Projekt und gewinnt nun einen stimmungsvollen Raum für Tagungen und Konzerte, wie man ihn nicht noch einmal in der Stadt findet.

Inhalt und stadtgeschichtliche Bedeutung dieser Funde, aber auch die Arbeiten an der Kapelle sind Gegenstand eines Buches, das im Herbst anlässlich der Wiedereröffnung des Gotteshauses an der Spandauer Straße nach jahrelanger Sanierung und Restaurierung innen und außen erscheinen soll.

Helmut Caspar

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