Nun doch mit Degussa -
Denkmal für die ermordeten Juden Europas kann weiter gebaut werden

Schwarz gefärbte Betonblöcke füllen nach und nach das Denkmalsgelände. (Foto: Caspar)

Nach heftigen Diskussionen hat das Kuratorium der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas entschieden, dass die wegen ihrer Beteiligung am Holocaust der Nationalsozialismus umstrittene Firma Degussa weiter am Bau des Mahnmals zu beteiligen. Hauptsächlich pragmatische Gründe gaben für den Beschluss den Ausschlag. Denn der Ausschluss des Konzerns, dessen Tochterfirma Degesch vor 60 Jahren das Giftgas Zyklon B hergestellt hatte, durch das unzählige Juden in den Vernichtungslagern der Nazis ermordet wurden, hätte zu weiteren Verzögerungen beim Bau und zu höheren Kosten geführt.

Obwohl das Kuratorium und sein Vorsitzender, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, Befriedigung über die nun gefundene Lösung demonstrieren, werden die Debatten um die Einbeziehung der Degussa und ihr zu billigem Preis geliefertes Antigraffiti-Mittel nicht verstummen. Dafür werden schon die stellvertretende Kuratoriumsvorsitzende Lea Rosh und weitere Kritiker in und ausserhalb Deutschland sorgen, die sich vehement gegen die Beteiligung der Degussa am Denkmalbau mit dem Hinweis ausgesprochen hatte, dass es keinem Juden zuzumuten sei, die Gedenkstätte in Sichtweite des Brandenburger Tors zu betreten, an deren Bau die Deutsche Gold- und Silberscheideanstalt (Degussa) beteiligt ist. Sie sei unzufrieden mit dem Beschluss, so Rosh, es wäre aber absurd, das ganze Projekt durch Nichtbeteiligung der Degussa in Gefahr zu bringen. Der Architekt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas, Peter Eisenman, hingegen begrüßte den Weiterbau und wies in einer ersten Stellungnahme darauf hin, dass die Degussa ihre dunkle Vergangenheit sehr sorgfältig aufgearbeitet hat.

Das Mahnmal wird auf einer Fläche von 19 000 Quadratmetern gebaut. Die ersten von insgesamt 2700 Stelen stehen bereits. Nach wochenlanger Baupause in Folge der Diskussion um die von der Degussa gelieferten Imprägnierungsflüssigkeit und einen Betonverflüssiger können die nächsten Stelen errichtet werden. Eisenman und der Bildhauer Richard Serra waren 1997 als Sieger eines künstlerischen Wettbewerbs mit der Realisierung des Projekts beauftragt worden. Unterschiedlich hohe Betonstelen verwandeln einen Teil der ehemaligen Ministergärten in ein „wogendes Getreidefeld ohne Eingang und Ausgang“, wie Eisenman formuliert. Die anthrazitfarbigen Stelen ragen zwischen einem und zwei Metern aus dem Boden heraus. Sie werden im brandenburgischen Joachimsthal nach einer von Eisenman genau vorgeschriebenen und eingefärbten Betonmischung hergestellt.

Der Deutsche Bundestag hatte im Sommer 1999 beschlossen, die an ein Gräberfeld mit geraden und auch leicht geneigten Gedenksteinen erinnernde Stätte in einer überarbeiteten und reduzierten Fassung („Eisenman II“) zu errichten. Das Votum schloss ein, dass das Stelenfeld durch einen unterirdischen „Ort der Information“ ergänzt wird. Hier soll umfassend über die Verfolgung und planmäßige Ermordung der deutschen und europäischen Juden durch den Nationalsozialismus berichtet und auch das Schicksal einzelner Opfer dargestellt werden. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem stellt dafür Namen, Bilder und Dokumente von ermordeten Juden zur Verfügung.

Die Kosten von 27,6 Millionen Euro für das Denkmal und die ergänzenden Bauten sowie eine Stiftung, die das Projekt realisiert, werden im Wesentlichen vom Bund getragen, ergänzt durch Spenden, die ein Förderkreis sammelt. Ende 2004 soll das Mahnmal, wenn es nicht wieder Verzögerungen und neue Querelen gibt, eingeweiht werden.

Helmut Caspar

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