Späte Ehrung für Kirchenfenster - Glasmalereien
des 19. Jahrhunderts treten stärker ins öffentliche Bewußtsein




Für die Dorfkirche in Dessow
(Ostprignitz-Ruppin) schuf die
Königlich bayerische Hofglasmalerei
Franz Xaver Zettler biblische Figuren,
hier in einem Ausschnitt ein Porträt des
Apostels Paulus mit Buch und Schwert.


Glasfenster des 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Kirchen, Rathäusern, Schlössern und Wohnhäusern waren lange Zeit für Kunsthistoriker, Denkmalpfleger und Restauratoren uninteressant.

Die häufig mittelaterlichen Vorbildern nachempfundenen Scheiben mit Motiven aus dem Alten und dem Neuen Testament, mit Bildnissen von Heiligen und wohlhabenden Stiftern, aber auch mit Wappen und frommen Sprüchen, Landschaften, Blumen und Tieren galten als Zeugnisse des Historismus als kaum erhaltenswert.

Ein neues Inventar der Glasmalereien in brandenburgischen und Berliner Kirchen vermittelt erstaunliche Erkenntnisse über die Vielseitigkeit und Qualität der zerbrechlichen Bilder.

Unzählige Scheiben fielen in den vergangenen Jahrzehnten der Fehleinschätzung zum Opfer, es handle sich um bloße Nachahmungen bewährter Vorbilder und bestenfalls um gediegene Handwerksarbeit, nicht vergleichbar mit den lichtdurchströmten Monumentalmalereien des 12. bis 16. Jahrhunderts. „Während die Bestandserfassung bei den mittelalterlichen Fenstern deutschlandweit und international bereits weit vorangeschritten ist, bestand bei den Scheiben aus dem 19. Jahrhundert erheblicher Nachholbedarf, was ihre Erforschung und öffentliche Akzeptanz betrifft. Unsere Aufgabe ist es, die zum Teil nur fragmentarisch erhaltenen Kunstwerke zu dokumentieren, sie mit aller denkmalpflegerischen Sorgfalt wiederherzustellen und so für kommende Generationen zu bewahren. Bei unserer Recherche entdeckten wir an versteckten Orten manchmal großartige Glasbilder, über die die bekannten Denkmalinventare, etwa das von Georg Dehio vor hundert Jahren begründete Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler, kein Wort verlieren“, sagt der Kunsthistoriker Frank Martin, der die Potsdamer Arbeitsstelle für Glasmalereiforschung des Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA - Corpus der Mittelalterlichen Glasmalerei) an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften leitet.

Die Ausstattung von Kirchen mit Glasmalereien war stets mehr als Witterungsschutz und Raumverdunklung, die bemalten Fenster vermittelten weihevolle Stimmung und trugen zum religiösen Bewusstsein der Gläubigen bei. Wohlhabende Stifter ließen sich schon im Mittelalter die als „heilige Lehrer“ empfundenen Fenster viel Geld kosten, und auch später haben sich solche Sponsoren gern auf den Bildern darstellen lassen.

  In der Dorfkirche zu   Bomsdorf (Oder-Spree)
  blieb ein wunderschönes   Frauenporträt erhalten.
  Es zeigt die 1870
  verstorbene Adelheid
  von Wiedebach, für die
  der trauernde Gatte ein
  Kirchenfenster stiftete.

  (Fotos: Arbeitsstelle für   Glasmalereiforschung)


Vertieft man sich in die Darstellungen, so lassen sich Traditionslinien zwischen den mittelalterlichen Fenstern im Brandenburger Dom oder der Marienkirche in Herzberg mit ähnlich gestalteten Scheiben des Historismus etwa in Bernau und Heiligengrabe feststellen. Gelegentlich wurden Motive von Raffael, Dürer oder Cranach dem Älteren auf die Glasbilder übertragen, doch hat man auch Kompositionen von Künstlern des 19. Jahrhunderts, etwa Holzschnitte von Julius Schnorr von Carolsfeld oder den „schmachtenden Christus“ von Guido Reni, als Vorlagen verwendet.

Während das Forschungszentrum für mittelalterliche Glasmalerei in Freiburg im Breisgau, das zur Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz gehört, den Glasmalereibestand in den alten Bundesländern erforscht und publiziert, ist die seit 1992 am Neuen Markt in Potsdam untergebrachte Arbeitsstelle für Glasmalereiforschung für die neuen Bundesländer zuständig. Die Untersuchungen sowohl an den mittelalterlichen Glasmalereien als auch an denen aus der Zeit zwischen 1800 und etwa 1914 sind, wie Frank Martin betont, kein Selbstzweck. Sie geschehen stets auch mit Blick auf Restaurierungs- und Sicherungsarbeiten an den Fenstern, die von der Potsdamer Arbeitsstelle beratend begleitet werden. Zur fachlichen Qualifizierung der Restaurierungsarbeit und Forschung gibt es Konsultationen zwischen Kunsthistorikern, Naturwissenschaftlern und Spezialisten in den Restaurierungswerkstätten. Vordringliches Thema ist die Bewahrung der fragilen Glaskunstwerke vor Umweltschäden und vandalischen Anschlägen, aber auch die Verträglichkeit von Schutzschichten und ganz allgemein die Frage, wie bei den Glasbildern und ihren Bemalungen. Die Doppelverglasung für mittelalterliche Glasmalereien ist bereits Usus, für die aus dem 19. Jahrhundert und solche jüngeren Datums wird sie angestrebt.

Während der Bestand an mittelalterlichen Glasmalereien bekannt ist und spektakuläre Entdeckungen nicht zu erwarten sind, kommen sie bei den Fenstern aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert immer wieder vor. Glücklicherweise ist nach dem Zweiten Weltkrieg nicht alles, was man als „wilhelminischen Bilderplunder“ abtat, zerstört und durch blankes, also unbemaltes Glas ersetzt worden. Da den Gemeinden Geld und neue Scheiben fehlten, ließ man die alten am Ort, auch wenn man sie nicht gerade schön fand, und das hat ihnen, wenn man so sagen will, das Leben gerettet. Auch in anderen Bereichen des Denkmalschutzes erwies sich Not oft als ein guter Denkmalpfleger, meint Frank Martin.

Zur großen Freude des Kunsthistorikers unterstützt die Ostdeutsche Sparkassenstiftung die Drucklegung der Inventare von Glasmalereien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die sich trotz Krieg und Bilderstürmerei in den neuen Bundesländern erhalten haben. Druckfrisch ist das von Angela Klauke und Frank Martin auf Grund älterer Forschungen verfasste reich illustrierte Buch „Glasmalereien des 19. Jahrhunderts Berlin Brandenburg – Die Kirchen“, das im Verlag Edition Leipzig erschienen ist. „Mit der Schriftenfolge wollen wir helfen, Wissenslücken zu schließen, den Blick der Öffentlichkeit für unbekannte Kostbarkeiten zu schärfen und das Interesse an Erhaltungsmaßnahmen zu fördern. Angesprochen sind Denkmalämter, Gemeinden, kirchliche Baudienststellen und Hochbauämter und natürlich die breite Öffentlichkeit, für die das Buch ein guter Wegbegleiter ist“.

Helmut Caspar

Mit "Zurück" zur Themenübersicht "Berlin und das Land Brandenburg"