Aufgeschlagenes Geschichtsbuch -
Was die Ausgrabungen in einer berühmten Berliner Ruine bisher ergeben haben



Sarah Plietsch und Michael Gransow untersuchen unter dem Estrich aus Beton eine aus dem Mittelalter liegende Schicht. (Foto: Caspar)

Einsichten in die frühe Geschichte Berlins gewinnen Archäologen vom Landesdenkmalamt derzeit in der Ruine des Franziskanerklosters an der Klosterkirche in Mitte. Von den Ergebnissen erhoffen sie sich Aufschlüsse über die frühe Baugeschichte des im Zweiten Weltkriegs zerstörten Gotteshauses. In seiner langen Geschichte ist Berlin immer wieder von Stadtbränden heimgesucht worden, sagen die Chroniken und lässt sich auch aus einer jetzt gefundenen Abfallgrube ablesen. Unachtsamkeit beim Umgang mit offenem Feuer, aber auch Blitzeinschläge waren die Ursachen. Im frühen 18. Jahrhundert tobte in der heutigen Littenstraße in der Nähe des Gymnasiums zum Grauen Kloster, nicht weit vom Alexanderplatz entfernt, eine Feuersbrunst. Sie vernichtete Häuser offenbar wohlhabender Bürger, wie die Auswertung des damals ausserhalb der Franziskaner-Klosterkirche angelegten Erdlochs ergab. Hier hinein warf man nach den Aufräumarbeiten Ziegelsteine und rauchgeschwärzte Ziegel, aber auch Reste von Hausrat und was man sonst nicht mehr benötigte.

Für den Berliner Archäologen Uwe Michas ist das Sammelsurium wie ein aufgeschlagenes Geschichtsbuch. Er hat mit seinen Kollegen begonnen, den Grubeninhalt zu untersuchen und fand künstlerisch wertvolle Ofenkacheln aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert. „Sie stellen Szenen aus der Bibel, aber auch Wappen und Fürstenbildnisse dar. Wenn die farbig glasierten Scherben zusammengesetzt sind, ergibt sich ein interessantes Bild gutbürgerlicher Raumausstattung. Eine Kachel trägt sogar ein Datum: 1640“. Ebenfalls in der Grube vor der Kirche entdeckte Austernschalen, Reste von Weinflaschen und tönerne Tabakspfeifen, aber auch verziertes Keramikgeschirr, Essbesteck und andere Gegenstände deuten auf einen gehobenen Lebensstil der Bewohner des Klosterviertels. Ausserdem wurden Stücke barocker Bauplastik gefunden. Auch diese Spolien werfen ein interessantes Licht auf das Berliner Bauwesen vor 300 Jahren.

Die Grabungen des Berliner Landesdenkmalamtes sind Teil der Mühen um ein nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nur noch als Torso erhaltenes berühmtes Gotteshaus. Ob die aus dem 13. Jahrhundert stammende Kirchenruine, die zu den Perlen mittelalterlicher Backsteingotik in der Mark Brandenburg gehört, je wieder ein Dach bekommt und damit vor den zerstörerischen Kräften der Witterung besser bewahrt wird als es jetzt der Fall ist, hängt von der Finanzierung ab. Der Wille des Berliner Senats und eines Fördervereins jedenfalls, die Klosterkirche stärker ins öffentliche Bewusstsein zu bringen und sie in Neubaupläne für das zu den ältesten Teilen der Stadt zählende Klosterkirchen-Viertel einzubeziehen, ist vorhanden.

Uwe Michas bereitet mit seinen Kollegen dafür den Boden, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Nach dem Krieg war das vor weiterem Verfall gesicherte Kirchenschiff mit einem dicken Estrich aus Beton belegt worden, der jetzt nach und nach abgetragen wird. Dass dieser Bereich einiges zu bieten hat, zeigt ein im Chorbereich aus dem Erdreich ragende Sandsteinplatte, die möglicherweise zum Fundament des Hochaltars gehörte. Suchgrabungen ergaben im ganzen Kirchenraum Reste von Gruftgewölben und von Bestattungen. Bisher ist die Ausbeute etwa an Gebeinen, Särgen und Beigaben noch relativ gering, aber die Archäologen stehen erst am Anfang. Identifiziert wurden bereits die sterblichen Überreste einer etwa 40jährigen Frau, dazu kommen Metallbeschläge barocker Sarkophage. Nicht gefunden wurden bisher Hinweise auf einen von Architekturhistorikern vermuteten Vorgängerbau der Klosterkirche und auf die Stadtmauer, die den Chorbereich angeschnitten haben soll.

Uwe Michas macht sich bei seinen Untersuchungen auf massive Schäden gefasst, die auf Schachtarbeiten im 19. und frühen 20. Jahrhundert zurück gehen. Eine aus steinernen Röhren gebildete Fußbodenheizung aus den späten 1920er Jahren nahm auf Bestattungen und baugeschichtlich interessante Zeugnisse keine Rücksicht. Obwohl noch sehr jung, wird das unterirdische System von den Archäologen vermessen. Aufgenommen in die Fundkartei wurde auch eine Flaschenpost, die bei der Anlage der Fußbodenheizung 1929/30 ins Erdreich kam. Das erst in eine Zigarettenschachtel und dann in eine Bierflasche gelegte Papier enthält Grüße von Bauarbeitern an die nächsten Generationen. Erst jetzt ist die Botschaft angekommen.

Helmut Caspar

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