Der Koffer von Marienfelde -
Symbolträchtiges Bronzedenkmal vor ehemaligem Notaufnahmelager eingeweiht



Walter Momper (r) und Hans-Dieter Dubrow (Foto: Caspar)

Dass sein Koffer, mit dem er und seine Frau vor 47 Jahren nach West-Berlin geflüchtet waren, einmal zu Denkmalehren kommen würde, hätte sich Hans-Dieter Dubrow niemals träumen lassen. Gestern weihte der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Walter Momper eine bronzene Nachbildung dieses damals mit Wäsche, Besteck und anderen Habseligkeiten gefüllten Behälters vor der Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde ein. Das symbolträchtige Denkmal für Abschied und Neubeginn zu ebener Erde wurde von dem Bildhauer und Kunstgießer Marco Flierl dem Original aus Hartpappe nachgestaltet.

Sichtlich gerührt erzählte in der kleinen Zeremonie der heute 74jährige Dubrow, warum er mit seiner Familie Anfang 1958 mit jenem Koffer in der Hand in den freien Teil Berlins flüchten musste. „Uns ist der Schritt nicht leicht gefallen, wir haben alles zurück gelassen, und wir wussten nicht, was uns erwartet. Meine Frau und ich waren Lehrer in Köpenick. Man bezichtigte uns eines fehlenden Klassenstandpunkts, das war wie ein Stigma. Ich hatte das Verfassungsrecht auf freie und geheime Wahl wahrgenommen, doch das machte mich verdächtig. Wir wurden bespitzelt, unter Druck gesetzt, bedroht.“ Die beiden Dubrows sollten über Eltern berichten, die ihre Kinder nicht zur Jugendweihe und in die FDJ schicken wollten. Das hätten sie abgelehnt. Und so wurde dem Lehrerehepaar die Arbeit an der Schule immer schwerer gemacht. „Als dann Freunde sagten, wir seien in Gefahr, haben wir unsere Sachen gepackt und uns im Notaufnahmelager Marienfelde gemeldet. Das war am 22. Januar 1958, unser Tag der Freiheit“.

Viele Jahre stand der alte Koffer unbeachtet bei den Dubrows, die in Neukölln im alten Beruf weiter arbeiteten. Vor ein paar Jahren erfuhr der Lehrer im Ruhestand, dass die Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde Berichte von Zeitzeugen und Stücke für eine Ausstellung sucht, die bei der Flucht mitgenommen wurden. Hans-Dieter Dubrow kramte den alten Koffer hervor und brachte ihn in die Gedenkstätte. Solche Exponate sind jetzt dort zu sehen – Fotoalben, eine Lieblingstasse aus Porzellan, Textilien, ein paar Schmuckstücke und eben auch Taschen und Koffer.

Der Koffer der Dubrows ist für Parlamentspräsident Walter Momper ein Sinnbild für den, wie er gestern sagte, „Mut der Verzweiflung“, der vier Millionen DDR-Bewohner zur Flucht in den Westen trieb. Allein 1,3 Millionen Menschen hätten bis zum Fall der Mauer das Notaufnahmelager Marienfelde passiert. Freiheit sei „nicht zum Nulltarif“ zu bekommen ist, sondern müsse täglich neu erstritten werden. Daran erinnere der Koffer, der aus Hartpappe und jetzt auch der aus Bronze.

Die Erinnerungsstätte an der Marienfelder Allee 66-80 ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Sie dokumentiert anhand von Schriftstücken, Fotografien und Plakaten und vielen anderen Exponaten, welches die Gründe der Flüchtlinge waren, die DDR zu verlassen und wie ihr Werdegang im Westen war und was aus jenen wurde, die es nicht geschafft haben. Der unlängst von Helge Heidemeyer und Bettina Effner im Berliner be.bra-Verlag herausgegebene Begleitband zur Ausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ hat 208 Seiten, zahlreiche Abbildungen und kostet 19,90 Euro (ISBN 3-89809-065-5).

Helmut Caspar

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