„Aus allem schöpfe dir Freuden“ -
Peitschen knallen, Kleider verbrennen, Medaillen verschenken und andere merkwürdige Bräuche zwischen den Jahren


Berliner Neujahrsmedaille von 1812 mit dem Wunsch „Aus allem schöpfe dir Freuden“. (Foto: Caspar)

Die einen fliehen vor dem Weihnachts- und Jahresend-Stress in ferne Regionen, andere geben ihr letztes Geld für Böller, Sekt und Champagner aus und sind bis zum Umfallen auf den Beinen, wissend, dass sie sich in der Silvesternacht ein dicken Kater zulegen und am Beginn des neuen Jahres zu nichts zu gebrauchen sind. Glaubt man den Historikern, dann ging es im alten Berlin (und nicht nur dort!) „zwischen den Jahren“, also in der letzten Woche eines ablaufenden Jahres, recht seltsam zu. Nach den besinnlichen Weihnachtstagen drehten vor allem junge Leute auf. Sie streiften johlend, rasselnd und trommelnd durch die Straßen und Gassen und erschreckten die Passanten. Die Polizei schritt nur bei ernsthaften Zusammenstößen mit friedlichen Passanten ein.

Die Frage bleibt unentschieden, ob mit Pfeifen, Läuten, Peitschenknall, Böllerschüssen oder Feueranzünden das alte Jahr mit all seinen Dämonen und guten-unguten Ereignissen verabschiedet oder die neue, sozusagen jungfräuliche Zeit freundlich, aber lautstark begrüßt wurde oder ob man damit beides meinte. Es gibt Belege für den Glauben, dass die Ernte im kommenden Jahr um so besser wird, je lauter das Getöse bei dessen Beginn ist. Würde das stimmen, dann müsste es wenigstens in unseren Breiten nur noch gute Ernten geben.

Wer es sich leisten konnte, verbrannte in der Silvesternacht alte Kleider, um Unrecht oder böse Erlebnisse im vergangenen Jahr ungeschehen zu machen und einen neuen Anfang zu wagen. Benannt ist der letzte Tag des Jahres nach Papst Silvester I., der am 31. Dezember 335 starb, weshalb der letzte Tag des Jahres seinen Namen trägt. Bis in unsere Tage ist der Aberglaube verbreitet, dass Wäschewaschen am Jahresende Unglück bringt. In der fraglichen Zeit war man aus gleichem Grund gut beraten, so der Volksglaube, alten Frauen und schwarzen Katzen nicht über den Weg zu laufen.

Um Glück und Wohlstand ins Haus zu holen, waren die Menschen recht einfallsreich. Die Berliner gingen in der Nacht zum Neuen Jahr gern mit viel Geld in der Tasche umher (so sie welches hatten!) in der Hoffnung, die „dicke Marie“ werde sich ab dem 1. Januar auf geheimnisvolle Weise vermehren. In dieser Erwartung wusch man sich auch in einer Schüssel, in die man einige Münzen tat. Aufgehoben wurden (und werden auch heute) im Portemonnaie die silbrig glänzenden Schuppen des Silvesterkarpfens. Ihnen schrieb man die Kraft der Geldvermehrung zu. Überhaupt verhielt man sich an der Jahreswende so, wie man die kommenden 365 Tage erleben wollte. Man vermied Gefahr und unangenehme Arbeit, wechselte alte gegen neue Kleider und verschenkte Geld in der Erwartung, diese Großzügigkeit werde sich schon bald auszahlen.

Als Glücksbringer waren Schweine beliebt, man sagt ja auch heute noch, dass man „Schwein hat“. Viele Leute hatten die Rüsseltiere im Stall hinterm Haus. Da man sie aber nicht in der Wohnung laufen lassen wollte, beschenkte man sich ersatzweise mit verkleinerten Kopien aus Holz, Porzellan oder Zinn. Das gleiche geschah mit Glücksklee. Doch seitdem vierblättrige Ausgaben gezüchtet werden und Marzipanschweine oder auch Sparschweine aus Keramik überall zu kaufen sind, haben diese „Schicksalshilfen“ an Attraktivität verloren.

Aus der Mode gekommen ist allerhand speziell fürs Neue Jahr geprägtes Metall. Man beschenkte einander mit Neujahrstalern oder -medaillen aus Gold, Silber oder unedlem Material. Eine in Berlin geprägte, besonders schöne Medaille auf das Jahr 1812 rät „Aus allem schöpfe dir Freude“ und zeigt eine doppelköpfige Janusbüste, bestehend aus dem Bildnis eines jungen und eines alten Mannes. Die Tradition solcher zum Teil sehr kostbarer Gaben geht in die Antike zurück, wo man den Gott Janus wegen seiner Fähigkeit verehrte, gleichzeitig vor- und rückwärts blicken zu können. Der Name Januar für den ersten Monat bezieht auf diesen bei den Römern auch für Torbögen, Ein- und Ausgänge und Brücken „zuständigen“ doppelköpfigen Gott.

Viele alte Neujahrsbräuche sind vergessen, doch es gibt auch neue Traditionen, das Neujahrsbaden in eiskaltem Wasser oder den Neujahrslauf. Er ist in Berlin zu einem Spektakel mit großer Beteiligung geworden und wird auch anderswo nachgeahmt, weil man auf angenehme Weise an frischer Luft sämtliche „Kater“ und andere Überbleibsel einer durchzechten Nacht los werden kann.

Helmut Caspar

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