Prenzlauer Mitteltorturm stand Pate -
Vor 110 Jahren begann der Bau der im märkischen Heimatstil gestalteten Oberbaumbrücke



Die Oberbaumbrücke verbindet Friedrichshain mit Kreuzberg und steht unter Denkmalschutz. Foto: Helmut Caspar

Nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs blühte Berlin auf. Aus der eher verschlafenen preußischen Haupt- und Residenzstadt mit 824000 Einwohnern im Jahre 1871 wurde binnen 30 Jahren eine Weltmetropole mit 1,8 Millionen Einwohnern. Um 1920 zählte man nach Bildung von Groß-Berlin mit zahlreichen Eingemeindungen über vier Millionen Einwohner. Um den stark angestiegenen Verkehr zu bewältigen und die vielen Menschen zu versorgen, war in der Kaiserzeit unter anderem der Bau von neuen Brücken und Bahnverbindungen notwendig. Die hölzerne Oberbaumbrücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg etwa, die 1724 als Zugbrücke erbaut und danach mehrfach erneuert worden war, tat ihren Dienst nicht mehr. An der breitesten Stelle der Spree wurde sie vor 110 Jahren durch einen steinernen Prachtbau im märkischen Heimatstil ersetzt, der auch von der damaligen Hochbahn genutzt werden konnte. Am 20. Oktober 1894 beschloss der Magistrat den Neubau, der die mit einer Länge von 150 Metern die Spree überspannt und damit eine der längsten Flussbrücken der Stadt ist.

Benannt ist die nach Entwürfen des Architekten Otto Stahn in nur zwei jahren errichtete Oberbaumbrücke nach dem uralten Brauch, abends die Zufahrt in die Innenstadt beziehungsweise die Ausfahrt aus Berlin durch einen mächtigen Baumstamm zu sperren, den man quer über die Spree legte. Am Morgen wurde das Hindernis beiseite geräumt, und die Schiffe und Kähne konnten nach Zahlung einer Gebühr passieren.

Die Oberbaumbrücke ist mit ihren malerischen Türmen und Bögen, Zinnen und Giebeln mittelalterlichen Bauten in der Mark Brandenburg nachempfunden. Solche Architekturzitate lagen um 1900 im Trend. Überall in Berlin haben sich eindrucksvolle Beispiele historistischen Bauens erhalten. Indem der Architekt Otto Stahn die beiden Türme der Oberbaumbrücke dem Mitteltortum und einem Teil der Stadtmauer in Prenzlau nachempfand, betonte er ihren wehrhaften Charakter und spielte auch auf die frühere Funktion der alten Zugbrücke als Zollgrenze an.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Oberbaumbrücke erheblich beschädigt und am 23. April 1945 auf Hitlers Befehl zum Teil gesprengt. Damit sollte der Vormarsch der Roten Armee aufgehalten werden. U-Bahn, eine Straßenbahnlinie sowie der Auto- und Fußgängerverkehr führten nach dem Krieg über die behelfsmäßig reparierte Brücke von einem in den anderen Teil der Viersektorenstadt. Allerdings unterbrach die DDR-Regierung, auf Abgrenzung und Kontrolle bedacht, bereits Mitte der fünfziger Jahre den Straßenbahn- und den Autoverkehr. Ganz dicht wurde die Brücke am 13. August 1961 im Zusammenhang mit dem Bau der Mauer gemacht. Ab 1963 bis zur Öffnung der Grenze am 9. November 1989 gestattete die DDR Fußgängern nach ermüdender und diskriminierender Antragstellung, sie im Rahmen des kleinen Grenzverkehrs zu passieren.

Nach der Wiedervereinigung (1990) ging es mit großem Elan an den Wiederaufbau und die Sanierung der so lange abgeschotteten Halbruine. Vergleicht man Bilder aus der Erbauungszeit vor 110 Jahren mit der heutigen Oberbaumbrücke, fallen einige Unterschiede auf. Manche Zierelemente wurden bei dem unter Denkmalschutz stehenden Bauwerk nicht wiederhergestellt. Ganz neu ist der aus Stahlelementen gefügte Mittelteil nach Plänen des bekannten Brückenbauers Santiago Calatrava. Mit ihm hat man die Oberbaumbrücke dem stark angewachsenen Verkehr angepasst, ohne ihre malerische Silhouette zu stören.

Helmut Caspar

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