Steinmeer in der Großstadt -
Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin nach siebzehnjähriger Planungs- und Bauzeit eingeweiht



Nach siebzehnjähriger Planungszeit wurde das Denkmal für die ermordeten Juden Europas am 10. Mai 2005 feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Dass das rund um die Uhr geöffnete Stelenfeld ohne Eingang und Ausgang nicht zur Spielwiese und zum unverbindlichen Event-Schauplatz verkommt, ist auch Sache der Besucher. Leider verhielten sich manche von ihnen, vor allem Kinder und Jugendliche, in den ersten Tagen nach der Eröffnung der Würde des Ortes wenig angemessen. (Foto: Caspar)

Das Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden Europas im Bereich der früheren Ministergärten unweit des Brandenburger Tores hat eine 17jährige, nicht immer erfreuliche Vorgeschichte. Als es am 10. Mai 2005 im Zeichen des 60. Jahrestags des Kriegsendes und des Untergangs der NS-Diktatur feierlich eingeweiht wurde, waren Erleichterung und gespannte Erwartung zu spüren, wie das aus über 2700 unterschiedlich hohen und gegeneinander geneigten Stelen aus dunkel gefärbtem Beton von der Bevölkerung angenommen wird. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dankte den Initiatoren des Denkmals Lea Rosh und Eberhard Jäckel sowie ihrem Förderverein für geduldige Ungeduld und Beharrlichkeit bei der Durchsetzung des Erinnerungsmals gegen alle Bedenken und Widrigkeiten sowie dem amerikanischen Architekten Peter Eisenman für seinen, wie er sagte, ingeniösen Entwurf. Das 19 000 Quadratmeter große Steinmeer mitten in der Großstadt, ein bauliches Symbol für die Unfasslichkeit des Verbrechens, sei aus der Mitte der Gesellschaft gekommen und werde von ihr getragen, so Thierse. Es sei Anstoß zum Nachdenken, keineswegs aber Stein gewordener Schlusspunkt unter die Vergangenheit.

Eisenmans Stelenfeld hat keinen Eingang und keinen Ausgang, es besitzt keinen figürlichen Schmuck und auch keine Inschrift. Einem wogenden Getreidefeld nicht unähnlich, fasert es zu den Straßen aus. Nach dem Willen des Architekten soll die Anlage irritieren und verstören, die Besucher sozusagen aus der Bahn werfen. Das Denkmal besitzt keine Umzäunung, die nachts abgeschlossen wird, was immer wieder Fragen nach der Sicherheit und dem Schutz vor Entweihung, vor Anschlägen und Schmierereien aufwirft. Mit seinen engen Gassen, die die Besucher nur einzeln passieren können, und den hoch aufragenden Betonklötzen bedrängt, irritiert und verunsichert das steinerne Meer. Damit tritt bei vielen Besuchern ein vom Künstler gewollter Effekt ein. Vorsorglich wurden Hinweistafeln aufgestellt, nach denen Picknick auf den Steinen und Sonnenbaden untersagt sind. Hingegen fehlen Angaben darüber, wem das Denkmal gewidmet ist. Nirgendwo findet man Gedenkworte oder Namen, und dennoch wird man, wenn man möchte, Blumen und kleine Steine nach jüdischer Sitte auf die Betonklötze legen können.

Noch weiß man, um welche Verbrechen es geht und wer die Opfer waren. Aber wird das in 20, 30 Jahren auch noch so sein, wenn das Holocaust-Denkmal alltäglicher Anblick und Ausflugsziel von Touristen und Schulklassen sein wird. Peter Eisenman jedenfalls sieht sein Werk als nicht vollendet an, und so sind Änderungen vorstellbar. So sollte auch die Kritik des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, berücksichtigt werden, dass das Denkmal die Frage nach dem „Warum“ nicht beantwortet und die Motive der Täter nicht thematisiert. Zwar wird darüber im Ort der Information berichtet, aber viele Menschen werden sich nicht die Mühe machen, ihn vor, während oder nach dem Besuch des Stelenwaldes aufzusuchen. Und auch diesen Einwand gibt es, dass nämlich das Denkmal „nur“ den Opfern des von den Nationalsozialisten organisierten Massenmord an sechs Millionen Juden gewidmet ist. Dem wäre entgegenzuhalten, dass man im Bereich der früheren Ministergärten und wenige Schritte von den ehemaligen Planungszentren des Krieges und des Massenmords sehr gut und angemessen aller Opfer des NS-Regimes gedenken kann, und wer es hier nicht vermag, der findet in der Berliner Innenstadt weitere Stätten, etwa die Neue Wache Unter den Linden, als zentrale Gedenkstätte für alle Opfer der Kriege, der deutschen Diktaturen und der Teilung.

Im Sommer 1999 hatte der Deutsche Bundestag nahezu einhellig beschlossen, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas zu errichten. Die Verwirklichung gestaltete sich schwierig und war mit manchen Querelen verbunden. Gegen den Widerstand von Peter Eisenman wurde dem Stelenfeld ein unterirdischer Ort der Information hinzugefügt. Als die Gedenkstätte fertig gestellt war, zeigte sich der Architekt von dieser Lösung überzeugt. In der unterirdischen Halle wird umfassend über die Verfolgung und planmäßige Ermordung der deutschen und europäischen Juden durch die Nationalsozialisten berichtet und auch das Schicksal einzelner Opfer dargestellt. Die israelische Gedenkstätte Yad Vashem stellte dafür Namen, Bilder und Dokumente zur Verfügung.

Vor der Einweihung des Denkmals gab es heftige Debatten darüber, wie der Gedenkort und weitere sensible Bereiche, etwa das Brandenburger Tor, vor Aufmärschen von Neonazis geschützt werden können. Erst als die gesetzlichen Bestimmungen durch den Deutschen Bundestag verschärft wurden, hatten es die Behörden leichter, Verbote auszusprechen. Den Opfern der Nazibarbarei, aber auch der deutschen und der Weltöffentlichkeit sollten Bilder grölender oder auch beredt-schweigender Horden erspart bleiben, was denn auch geschah.

Nach dem Denkmal für die Opfer des Holocausts soll die deutsche Hauptstadt auch ein Denkmal für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma bekommen. Der Erinnerungsort für eine halbe Million Männer, Frauen und Kinder entsteht südlich des Reichstagsgebäudes soll 2006 fertig gestellt sein. Der Bund hat dafür zwei Millionen Euro vorgesehen, während das Land Berlin das Grundstück zur Verfügung stellt. Der Künstler Dani Karavan plant ein kreisrundes steinernes Wasserbecken mit einem Durchmesser von etwa 30 Metern, in dessen Mitte sich ein schwarzer Stein erhebt. Am Rand des Brunnens soll eine Inschrift angebracht werden, und außerdem soll ein gleichmäßiger leicht schriller Klang einer Geige erklingen. Das Denkmal erinnert an die systematische Ermordung von Sinti und Roma vor allem in Osteuropa durch SS-Einsatzgruppen und an die Folgen des genannten Auschwitz-Erlasses, in dem der Reichsführer SS Heinrich Himmler am 16. Dezember 1942 die Deportation von 23.000 Sinti und Roma in ganzen Familien aus elf Ländern Europas nach Auschwitz-Birkenau befahl. Fast alle Gefangenen wurden dort ermordet, die letzten 3000 Kinder und ihre Mütter sowie alte Leute starben am 2. August 1944 in dem Vernichtungslager bei Krakau.

Helmut Caspar

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