Wunderblut zog zahllose Pilger an -
Neue Folge der „Mark Brandenburg“ über Wallfahrtskirchen

Als im Jahre 1108 die Magdeburger Geistlichkeit dazu aufrief, das Land östlich der mittleren Elbe zu christianisieren, lockten sie Krieger aus Sachsen und Franken, Flandern und Lothringen mit tollen Versprechungen. Das Herrschaftsgebiet der heidnischen Slawen sei eine Art Jerusalem, das beste Land weit und breit, ergiebig an Fleisch, Geflügel, Honig und Getreide. Kein Wunder, dass sich landlose Bauern und abenteuerlustige Krieger, angeleitet und motiviert von frommen Männern, aufmachten, um das fremde Gebiet zu erobern. Doch sie rechneten nicht mit dem Widerstand der Einheimischen, und so geriet der mit Kreuz und Schwert vorangetriebene Prozess der Ostexpansion immer wieder ins Stocken. Davon und von den Auswirkungen der Christianisierung ist derzeit im Land Brandenburg viel die Rede, befasst sich doch Kulturjahr 2005 mit dem Thema „Der Himmel auf Erden - 1000 Jahre Christentum in Brandenburg“.

Auch die Vierteljahreszeitschrift „Die Mark Brandenburg“ beteiligt sich an der Kampagne. Ihr nunmehr 57. Heft befasst sich unter dem Motto „Am heiligen Ziel langer Wege“ mit mittelalterlichen Wallfahrtskirchen, von denen es zwischen Elbe und Oder noch etliche mit gut erhaltenen Ausstattungen gibt. Zunächst vermittelt André König Einblicke in die missionarischen Bemühungen christlicher Herrscher und ihrer geistlichen Gefolgsleute vor und nach dem Jahr 1000 und schildert dabei auch, welche Opfer diese Kreuzzüge forderten, aber auch welche kulturellen Leistungen in ihrem Gefolge erbracht wurden. Denn den Kriegern folgten Mönche, die damals als einzige lesen und schreiben konnten und überall im Land Klöster, Kirchen und Kapellen errichteten.

Wie diese Sakralbauten Ziel von Wallfahrten wurden und was sich dabei abspielte, schildern im weiteren Verlauf Felix Escher, Jan Feustel und Uwe Michas. Unzählige Pilger machten sich auf den mühevollen und auch nicht ganz ungefährlichen Weg, um im Angesicht von Reliquien heiliger Männer und Frauen zu beten und um Erlösung von Sünden und Hilfe bei Krankheiten zu bitten. Kreuzfahrer brachten verehrungswürdige Partikel aus dem Heiligen Land mit, andere fromme Menschen setzten wundersame Geschichten in die Welt mit dem Ergebnis, dass unzählige Gläubige herbei strömten. Je bedeutender die als wundertätig und reinigend angesehene Reliquie, um so kostbarer war das Gehäuse, in dem man sie aufhob. Und da sich die Präsentation nicht in einfachen Räumen abspielen konnte, setzte man allen Ehrgeiz in den Bau repräsentativer Kirchen als Aufbewahrungs- und Andachtsorte.

Pilger bescherten den Wallfahrtsorten viel Ansehen und Einnahmen, doch blieben Neider nicht aus, wie Uwe Michas am Beispiel der Wunderblutkirche Sankt Nikolai in Wilsnack schildert. Hier soll eine Hostie, Sinnbild für den Leib Christi, geblutet haben, und als dieses Wunder vom Bischof anerkannt wurde, strömten viele Pilger herbei. Ein Ritter, der das Wunderblut verspottete, soll blind geworden sein. Erst als er nach Wilsnack pilgerte, wurde er sehend, wurde erzählt. Das Sakrament war allerdings nicht jedermanns Sache. Seine Heilkraft wurde auch angezweifelt, gar als Fälschung verunglimpft. Ein päpstliches Machtwort entschied Mitte des 15. Jahrhunderts den Streit zu Gunsten von Wilsnack, das noch mehr als hundert Jahre von der wundertätigen Hostie profitierte. Zu sehen ist das sehr schön an der Kirche und den Resten seiner kostbaren Ausstattung. Als um 1900 in Wilsnack heilkräftige Moore entdeckt wurde, kamen neue Pilger. Bis heute erfahren sie in dem Kurort tatsächlich Heilung vieler Leiden, und das viel effektiver als es alle mittelalterlichen Wallfahrten zusammen vermochten.

Die Mark Brandenburg. Verlag Marika Großer Berlin, Heft 57, 40 S., zahlr. Abb., 4 Euro.

Helmut Caspar

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