Tuten und Blasen beleidigten des Kaisers Ohr Weihnachtsmarkt wurde auf höhere Weisung vom Schloßplatz vertrieben



Im Schatten der „Berolina“ verdienen sich Berliner Gören bei grimmiger Kälte auf dem Alexanderplatz ein paar Pfennige mit dem Verkauf von selbstgebasteltem Spielzeug. (Repro: Caspar)

Während der Weihnachtsbaum als Symbol von Treue und Beständigkeit erst um das Jahr 1800 an der Spree beliebt wurde, ist der Berliner Weihnachtsmarkt wesentlich älter. Schon im Mittelalter gab es in den Gedenktagen an Christi Geburt Mysterienspiele, Sternensingen und Jahrmärkte. Glaubt man den spärlichen Nachrichten, ging es dabei sehr fröhlich und ausgelassen zu, manchmal auch ziemlich laut. Überliefert ist der Handel mit Wachskerzen sowie mit Honiggebäck, dem man heilende und fruchtbarkeitsfördernde Wirkungen zuschrieb. Krämerstände gab es auf dem Petriplatz, dem Köllnischen Fischmarkt und anderenorts in der damals noch sehr kleinen Doppelstadt Berlin-Cölln. Ob familiäre Feste am Heiligen Abend veranstaltet wurden, ist nicht bekannt. Wer es sich leisten konnte, richtete einem Festschmaus aus.

In der Barockzeit hatte man im Schatten des Schlosses Buden aufgeschlagen. Die Hohenzollern und ihr Hofstaat ließen es sich nicht nehmen, in die Niederungen weihnachtlicher Vergnügungen herabzusteigen und vor ihrer Tür Naschwerk und Silbersachen zu kaufen. An den guten Brauch erinnerten vor über hundert Jahren fliegende Händler in einer Petition an Kaiser Wilhelm II., der sich durch aufdringliches Tuten und Blasen beleidigt fühlte, weshalb der Polizeipräsident veranlaßt wurde, den Weihnachtsmarkt auf andere Standorte abzudrängen. Das ehemals so sehr gelobte Spektakel, das durch königliche Besuche sogar „geadelt“ wurde, war jetzt, da sich die preußisch-deutsche Hauptstadt zur Weltmetropole mauserte, nicht mehr „fein“ genug für den kaiserlichen Hof. Kritiker qualifizierten das Volksvergnügen als „pöbelhafte Ansammlung“ billiger Bretterverschläge mit übelriechendem Inhalt und riefen nach dem Arm des Gesetzes. Der alte Brauch habe sich im „modernen“ Berlin überlebt. Er sei „in der That eine gänzlich veraltete, den Verhältnissen und der Würde der Reichs-Hauptstadt in keiner Weise mehr entsprechende Krämereieinrichtung“, hieß es zur Begründung. Die Kritiker hatten nicht ganz Unrecht. Denn es „quieckte, pfiff, klapperte, zwitscherte, rasselte, trommelte, flötete in diesen Budenreihen, es war ein Spektakel, als ob sich sämtliche Musikkapellen des gesamten deutschen Reiches hier ein ,stimmungsvolles’ Rendezvous gegeben hätten“, heißt es in einer Beschreibung von damals.

Doch gab es auch handfestere Argumente, denn Damen und Herren aus der Oberschicht wurden, wenn sie sich mal auf den Weihnachtsmarkt verirrten, angepöbelt, verspottet und mit allerhand Unflat beworfen. Sogenannte Walddeibeljungen machten sich einen Jux, „bessere Kreise“ samt Kindermädchen und Dienerschaft durch lautstarkes Trommeln, Tuten und Schnarren aus der Fassung zu bringen. Bis zu 3000 fliegende Händler sollen auf dem Schloßplatz versucht haben, die oft in mühsamer Heimarbeit gefertigten Waren zu verkaufen. Viel war ja nicht zu verdienen, das bißchen Einkommen spielte aber bei den Heimarbeitern als Einnahmequelle schon eine beachtliche Rolle. Zu kaufen gab es in der Budenstadt buchstäblich alles: „Von Äpfeln, Nüssen, Pfefferkuchen an bis zu vollständigen Kücheneinrichtungen, bis zu wollenen Decken, Kleidern, Teppichen, Harmoniums, Leierkästen und wonach man sonst noch Bedarf hat“, heißt es in einem Rückblick aus dem Jahre 1895. Es muß ziemlich viel Schund darunter gewesen sein, denn man erfährt von taubstummen Kanarienvögeln, Nerzumhängen aus Kaninchenfell oder Wurst, die nach Seife schmeckt. Mancher Nostalgiker allerdings würde sich heute freuen, bekäme er für die Preise von damals buntbemalte Nachttöpfe, bestickte Hosenträger mit sinnigen Aufschriften wie „Bleib mich treu“ und Zinnsoldaten.

Helmut Caspar

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