„Wessen Land, dessen Religion“ -
Der vor 450 Jahren besiegelte Augsburger Religionsfrieden hatte nicht lange Bestand



Der Erzengel Michael kämpft gegen den Teufel, ein in der Zeit der Gegenreformation beliebtes Motiv, mit dem auch das Schicksal aller Glaubensabweichler gekennzeichnet wurde. Silberstatuette aus der Reichen Kapelle der Münchner Residenz. (Foto: Katalog)

Die Luthersche Reformation löste im frühen 16. Jahrhundert heftige Religionskämpfe und gesellschaftliche Umbrüche aus. Das mittelalterliche Feudalsystem geriet ins Wanken. Harte Fragen wurden an die römische Kirche und ihre Legitimität gestellt. Bauern und Plebejer erhoben sich gegen ihre Herren. Selbsternannte Propheten sammelten eifernde Gefolgsleute um sich. Heiligenbilder wurden von den Sockeln gestoßen. Ganze Völkerschaften führten blutige Kriege um den „richtigen“ Glauben, begleitet von einem Gewitter von Pamphleten, deren Publizierung durch die aufblühende Buchdruckerkunst erst möglich wurde.

Nach einer Serie von Kriegen erkannten in der Mitte des 16. Jahrhunderts die verfeindeten, sich gegenseitig der Gottlosigkeit verdächtigenden Parteien zumindest im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, dass die Religionskriege, die immer auch reale machtpolitische Hintergründe hatten, in der Sackgasse und im Chaos enden. Diese gar nicht selbstverständliche Erkenntnis reifte sicher auch deshalb, weil das aus unzähligen geistlichen und weltlichen Fürstentümern sowie freien Städten bestehende Reich von den Osmanen bedroht wurde. Zähneknirschend einigten sich nach zähen Vorverhandlungen Katholiken und Protestanten am 29. September 1555, vor nunmehr 450 Jahren, während des Reichstags zu Augsburg auf den Augsburger Religionsfrieden.

Entschärfter Glaubenskonflikt
Mit dem Reichstagsabschied liegt die erste weltliche und dauerhafte Kompromisslösung zur Entschärfung eines religiösen Konflikts vor. Das Reichsgesetz hielt sich wohlweislich aus der Frage heraus, wer denn nun den „richtigen“ Glauben vertritt und ließ auch sonst viele Fragen offen. Wichtig aber war das ausdrücklich fixierte Recht der Landesfürsten zu bestimmen, welche Konfession in ihrem Territorium gelten soll. Für diesen Grundsatz wurde später die bekannte Formel „Cuius regio, eius religio“ („Wessen Land, dessen Religion“) gefunden. Der durch viele Allgemeinplätze und Ausnahmeregelungen verwässerte Augsburger Religionsfrieden erkannte das Luthersche Bekenntnis als gleichberechtigt neben dem der Katholiken an. Anhänger anderer Bekenntnisse wurden von dem Reichsgesetz ausgeschlossen, was natürlich zu neuen Konflikten führen sollte. Die Fürsten und Reichsstädte bekamen das Recht, in ihren Territorien eine ihnen genehme Glaubens- und Kirchenordnung aufzurichten. Zwar brachte der Friedensschluss für die Bevölkerung noch keine vollkommene religiöse Liberalität. Er sicherte aber dem Einzelnen zu, aus Glaubensgründen in ein anderes Fürstentum oder in eine ihm genehme Reichsstadt zu gehen. Kirchenfürsten, welche zum Protestantismus übertreten wollten, mussten sich mit dem Verlust ihrer Ämter und Einkünfte abfinden. Das war ein wichtiges Zugeständnis an die um Macht- und Einflusszonen besorgte katholische Seite. Augsburg, Nürnberg, Frankfurt am Main und anderen freien Städten wurde das Nebenherbestehen zweier Konfessionen zugestanden. In einer gesonderten Erklärung wurde Ritterschaften, Städten und Gemeinden protestantischen Bekenntnisses zugesichert, in Glaubensfragen nicht behelligt zu werden. Unklarheit bestand weiter für Territorien des einen Bekenntnisses, die in Personalunion mit einem Fürsten anderen Bekenntnisses verbunden waren.

Ungeachtet fauler Kompromisse und unklarer Formulierungen verschaffte der Augsburger Religionsfrieden erstmals den seit Luthers Thesenverkündigung in Wittenberg anno 1517 in ständiger Angst vor Reichsacht und der Anschuldigung der Ketzerei lebenden Protestanten Rechtssicherheit, und umgekehrt waren in Ländern Lutherischen Bekenntnisses lebende Katholiken vor Anfeindungen sicher. Wenigstens das dies der Vertragstext vor. Doch wenn man genau hinschaut, sieht man, dass die schönen Worte angesichts weiter vorherrschender Intoleranz häufig nicht das Papier wert waren, auf das man sie geschrieben hatte. Katholiken wurde im protestantischen Umfeld das Leben schwer gemacht, und umgekehrt sah die Lage auch nicht viel besser aus.

Die religiösen und zugleich sozialen Konflikte ließen sich, Augsburg hin, Frieden her, nur mühsam deckeln. Die Gegenreformation marschierte und forderte Opfer. Im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) brachen die mühsam überbrückten Gegensätze mit Macht hervor und führten zu hohen Verlusten an Blut und Gut. Geschlossene Verträge waren keinen Pfifferling mehr wert. Nach dem Ende dieses schrecklichsten aller bisherigen Kriege und damit auch knapp hundert Jahre nach dem Augsburger Religionsfrieden wurde im Römisch-deutschen Reich das Nebeneinander der Konfessionen erneut und endgültig fixiert, was aber weitere Vertreibungen und Drangsalierungen aus religiösen Gründen nicht ganz verhinderte, aber wenigstens eindämmte.

Wirkung bis heute
Dass wir in Deutschland einen im Wesentlichen katholisch geprägten Westen und Süden und einen protestantischen Norden und Südwesten haben, resultiert aus dem vor 450 Jahren in Augsburg beschlossenen Arrangement. Unterschiedliche, manchmal auch recht merkwürdige Sitten, Feste, Feiertage, Gebräuche und Traditionen, ja auch politische Strukturen und der deutsche Föderalismus haben hier ihre Wurzeln.

Dass das Thema Respekt und Toleranz, welches in dem Dokument von 1555 noch nebulös formuliert wurde, wichtiger denn je ist, zeigt die Welle religiös motivierter Gewalttaten, die wir gerade erleben und erleiden. Es ist kaum anzunehmen, dass die Drahtzieher und die fanatischen Attentäter vor Ort einen Schimmer davon haben, was vor 450 Jahren in der alten Reichsstadt beschlossen wurde. Vielleicht würde bei ihnen sonst die Erkenntnis reifen, dass nur friedliches Nebeneinanderleben und Achtung vor anderen Glaubenssätzen die Menschheit voranbringt.

Ausstellung und Buch zum Thema
Mit einem umfangreichen Veranstaltungs- und Festprogramm sowie einer bis zum 16. Oktober laufenden Ausstellung im Museum Maximilianeum begeht die Stadt Augsburg in diesem Jahr den 450. Jahrestag des Augsburger Religionsfriedens. Die Ausstellung „Als Frieden möglich war“ dokumentiert anhand von Briefen und Druckschriften, Grafiken und Gemälden, Skulpturen und einer Auswahl von Medaillen das Zustandekommen und die Auswirkungen dieses Friedensabkommens. Ein großer Teil der rund 300 gezeigten und im umfangreichen Katalog ausführlich beschriebenen Exponate aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind Leihgaben aus Museen und Archiven in ganz Europa. Die Ausstellung in der Philippine-Welser-Straße 24, 86150 Augsburg, ist Dienstag, Mittwoch und Freitag von 9 bis 19 Uhr, Donnerstag 9 bis 21 Uhr sowie am Samstag und Sonntag von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Der Katalog erschien im Regensburger Verlag Schnell und Steiner, hat 688 Seiten und zahlreiche meist farbige Abbildungen und kostet 39,90 Euro (ISBN 7-7954-1749-X. Weitere Informationen zum Thema im Internet unter www.augsburger-religionsfrieden.de.

Helmut Caspar

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