Fernsehen in der braunen Wiege
Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums
Das vor 70 Jahren eröffnete Medium kam in der NS-Zeit nur mühsam auf die Beine

Als am 22. März 1935, vor genau 70 Jahren, in Berlin das deutsche Fernsehen eröffnet wurde und Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky kriecherische Ergebenheitsadressen an Hitler und Goebbels richtete, hielt sich deren Begeisterung in Grenzen. Die braun gewandeten Spitzen des Reichs konnten sich nicht vorstellen, dass sich in absehbarer Zeit die „Volksgemeinschaft“ in eine nationalsozialistische Fernsehgemeinschaft verwandelt. Zwar war die Aussicht verlockend, dass bewegte Bilder vom Führer auf elektronischem Weg in die Herzen der Deutschen gepflanzt werden, so Hadamovskys Vision. Aber die technischen und logistischen Möglichkeiten waren noch unvollkommen.

Das noch in der braunen Wiege liegende Fernsehen, an dem seit den zwanziger Jahren in Deutschland und einigen anderen Industrienationen wie den USA und Großbritannien intensiv gearbeitet wurde, reichte keineswegs an die Möglichkeiten von Presse, Funk und Film heran. Außerdem wurden von dem neuen Medium nur einige Großstädte erreicht. Hadamowskys Aufforderung „Schließt Euch alle zusammen und bildet Fernsehgemeinschaften…Arbeitet für die Einführung des Fernsehens und Ihr arbeitet für den endgültigen und vollkommenen Sieg der nationalsozialistischen Idee“ war reine Zweckpropaganda.

Vorerst vertrauten der Führer und sein Propagandaminister der Kraft des gedruckten oder gesprochenen, eher gebrüllten Wortes in der Presse beziehungsweise im Rundfunk und im Film. Hier herrschte Goebbels unumschränkt, hier schlüpfte kein falscher Zungenschlag durch. Doch Goebbels wäre nicht der abgefeimte Lügner gewesen, wie Erich Kästner einmal sagte, hätte er nicht sofort jenen televisionären Frühlingsbeginn dafür benutzt, NS-Deutschland zum ersten Fernsehland der Welt hochzustilisieren. Dabei war das, was über schuhkartonkleine Bildschirme flimmerte, zunächst bescheiden und auch ziemlich abgestanden: Ansprachen des Führers, Zusammenschnitte aus der Wochenschau, Kultur- und Propagandafilme. Darbietungen also, die man im Kino viel größer und mit besserer Tonqualität zu Gesicht bekam. Der Propagandaminister sah der Entwicklung abwartend zu, denn er wollte auf keinen Fall, dass die Leute das Kino meiden und sich zu Hause amüsieren und dort vielleicht, außerhalb staatspolizeilicher Kontrolle, sogar noch ihre Witze machen.

Das Fernsehen kam nur mühsam auf die Beine und wurde nicht zur Massenbewegung. Während die Volksempfänger, insgeheim auch Goebbelsschnauze genannt, billig angeboten wurden, war das häusliche Fernsehen ein teures Vergnügen. Die Industrie kam nicht nach, hatte auch andere, kriegswichtigere Aufgaben. Daher ließen sich die „Volksgenossen“, die sich vor 70 Jahren einen dieser lackierten Empfangsschränke mit kleinem Bildschirm zulegten, an ein paar Händen abzählen. Weitaus mehr Menschen wurden in eilig eingerichteten Fernsehstuben der Reichspost oder in extra angemieteten Läden erfasst, die man anfangs in Berlin und Potsdam, dann auch in anderen Städten einrichtete. Dutzende Leute saßen auf harten Stühlen und schauten angestrengt in die Röhre. Da das kinoähnliche Vergnügen kostenlos war, dürften sich wohl auch Besucher eingefunden haben, die sich nur aufwärmen wollten oder Gesellschaft suchten. Die Presse hat vorsichtshalber nicht nach ihren Motiven gefragt.

Die Situation wurde günstiger, als das Fernsehen für die Übertragung von der Olympiade 1936 in Berlin genutzt wurde. Dazu wurden schwergewichtige elektronische Kameras eingesetzt, die von verschiedenen Sportstätten sendeten. Allerdings nicht live, sondern mit Hilfe eilig in den Ü-Wagen entwickelter Zelloloidfilme, die man in einen Bildabtaster eingab. Die dort gewonnenen Impulse gelangten mit einiger Zeitverzögerung auf den Schirm. Dass vieles an den Übertragungen noch unvollkommen, irgendwie halbfertig war, nahm man hin. Hilfe kam von den Reportern, die das Geschehen zu erklären hatten. Es wird berichtet, dass Fernsehzuschauer den Athleten ebenso Beifall spendeten wie es Beobachter auf dem Reichssportfeld taten, und manche Betrachter mögen bei den Reportagen vergessen haben, dass sie in einem geschlossenen Raum sitzen.

Die ersten Fernsehsendungen wurden 1935 dreimal in der Woche übertragen, ein Jahr später täglich von 20 bis 21 Uhr und dann noch einmal in Wiederholung von 21 bis 22 Uhr. Die Abfolge ähnelte dem Kinoprogramm mit Wochenschau, Kulturfilm und Hauptfilm, unterbrochen durch Ansagen und Aufrufe. Da angesichts dieser Monotonie das Interesse nachließ, musste Neues her, und so erfand man Fernsehspiele und ließ Sänger und Kabarettisten auftreten. An Höhepunkten im NS-Kalender, etwa am Tag der „Machtergreifung“, zu Führers Geburtstag oder anlässlich von Reichsparteitagen, gab es neben der Rundfunkberieselung auch die Gehirnwäsche durch Sondersendungen im Fernsehen.

Da die Themen und die Akteure bekannt sind und man auch weiß, wie sehr das Fernsehen mit hitlertreuen Parteigenossen durchsetzt war und es am Tropf des Propagandaministeriums hing, kann niemand behaupten, es sei unpolitisch gewesen. Auch wenn nach dem Krieg dieser Anschein erweckt wurde, stand das Fernsehen wie die anderen Medien im Dienst der Nazipropaganda. Zu eingängigen Themen wie Haushalt oder Tiere, zu Reportagen über ferne Länder oder über die Segnungen der Familie trat knallharte politische Tendenz in Form von Belehrungen über die Werte der Volksgemeinschaft und die Selbstaufgabe des Einzelnen nach dem Motto „Führer befiehl, wir folgen dir!“.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden den Volksgenossen, sofern ihnen der Sinn nach Fernsehen stand, ideologische und militärische Ertüchtigung vorgesetzt, ergänzt durch die Abteilung „Wir spenden Frohsinn, wir spenden Freude“. Da die Gestapo nicht überall mithörte, ist nicht bekannt, welchen Einfluss die Sendungen auf die Wehrkraft hatten. Groß dürften die Effekte angesichts sich mehrender Opferzahlen auf den Schlachtfeldern, der Bombengefahr und zunehmender Kriegsmüdigkeit nicht gewesen sein.

Helmut Caspar

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