Jedem das Seine -
Hugenotten schufen sich vor 300 Jahren ihre eigene Schulen und Sozialeinrichtungen



Ein bronzener Pelikan als Sinnbild für Selbstlosigkeit und Opferfreude erinnert in der Nähe der Berliner Friedrichstraße an soziales Engagement innerhalb der Französischen Gemeinde.
(Foto: Caspar)

Als der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg anno 1685 mit dem „Edikt von Potsdam“ französische Glaubensflüchtlinge ins Land holte, versprach er ihnen „eine sichere und freye retraite“ (Zuflucht) und gewährte ihnen Freundschaft und Zuwendung. Der Landesherr nahm die wegen ihres protestantischen Bekenntnisses aus Frankreich ausgewiesenen Hugenotten mit offenen Armen auf, versprach er sich von ihnen doch auch Hilfe beim wirtschaftlichen Aufschwung seines durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) geschwächten Landes. Die vor dem französischen „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. geflüchteten Militärs und Manufakturisten, Handwerker und Handelsleute, Künstler, Gelehrten und Landwirte lebten und arbeiteten in eigenen, von der übrigen Bevölkerung abgehobenen Kolonien. Ihnen standen eigene Kirchen zur Verfügung, die auch für das Bildungssystem zuständig waren. Die „Refugiés“ hatten eigene Schulen sowie karitative Einrichtungen, und selbstverständlich verständigte man sich in der Muttersprache. Eine „Vermischung“ mit den Einheimischen fand zumindest in den ersten hundert Jahren nicht statt, denn Hochzeiten mit Deutschen waren nicht erwünscht.

Gute Bildung der Schlüssel zum Erfolg
Vor allem die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angelegten und nach Angehörigen des Hauses Hohenzollern benannten Neustädte vor den Toren der alten Doppelstadt Berlin-Cölln hatten es den Hugenotten angetan. Sie siedelten sich, gefördert und privilegiert vom Herrscherhaus, auf dem Friedrichswerder sowie in der Dorotheenstadt und der Friedrichstadt an, wo in eigenen Kirchen und Kapellen Gottesdienst gehalten wurde. Um 1700 war bereits jeder fünfte Berliner französischer Herkunft, und das färbte natürlich ab. Nun begannen auch die Einheimischen zu französeln, und wer es sich leisten konnte, stellte französische Hauslehrer und Gouvernanten ein. Umgekehrt mühten sich die Refugiés um ordentliche Schulen, denn schon damals galt der Satz: gute Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg. Das deckte sich mit Anstrengungen der preußischen Könige, auch den „Landeskindern“ eine Elementarbildung, und das war Lesen, Schreiben, Rechnen, ergänzt durch Unterweisung in der Bibel und Ehrfurcht vor dem Herrscherhaus, zu vermitteln. Zu diesem Zweck wurden, der Kosten wegen, alte, oft invalide Soldaten abkommandiert, die den deutschen Kindern etwas beibringen mussten.

Bis zu den preußischen Reformen des frühen 19. Jahrhunderts unterstand das Schulwesen in den Hugenottenkolonien kirchlicher Oberaufsicht. Unterweisungen in der Schule und im Religionsunterricht war Angelegenheit von Kantoren und Geistlichen, die von der Kirchenleitung, dem Konsistorium, angestellt und besoldet wurden. Jungen und Mädchen erhielten getrennten Unterricht nach dem Motto des preußischen Schwarzen Adlerordens „Jedem das Seine“. Waren sie besonders begabt, fromm und folgsam, konnten sie in den Genuss von Fördermaßnahmen kommen und auch höhere Schulen besuchen.

Selbstverständlich war gute Schulausbildung eine Frage des Geldbeutels. Das galt für Einheimische wie für Zugezogene. Wer es sich leisten konnte, schickte seine Söhne aufs Gymnasium beziehungsweise auf die Universität. Mädchen blieben außen vor. Ihnen war höhere Bildung in der Regel versagt, denn sie hatten für Kinder und die Küche zu sorgen.

Bildung von Geist und Körper
Erste Überlegungen für ein französisches Schulwesen in Berlin gab es zeitgleich mit dem Erlass des Edikts von Potsdam. In Denkschriften aus der Zeit um 1685 wird von der „Anrichtung“ einer französischen Akademie oder Schule gesprochen, die in literarischen Fächern, aber auch bei der körperlichen, sprich sportlichen Ertüchtigung tätig ist und den Eleven auch gute Manieren beibringt. Damit wurde dem antikem Ideal das Wort geredet, nämlich die gleichberechtigte Bildung von Geist und Körper. Das Lehrprogramm war dem der deutschen Ritterakademien nicht unähnlich, welche Söhne aus besseren Kreisen auf den späteren Staats- und Kirchendienst sowie eine Tätigkeit im Militär vorbereiten halfen.

Gegenüber dem, was Gymnasien zu bieten hatten, war der von Armenlehrern und Katecheten erteilte Elementarunterricht recht dürftig, aber es gab ihn zumindest. Zwei- oder dreimal erfolgten Unterweisungen im Lesen, Schreiben und Rechnen, dazu viel Religionskunde. Da man tüchtige Sänger im Kirchenchor brauchte, gab es auch Musikunterricht. Da der Anteil der Franzosen in der Berliner Bevölkerung hoch war, reichten die wenigen Elementarschulen nicht aus. Ihre Zahl stieg von vier im Jahr 1758 auf 19 im Jahr 1812. Dazu kamen höhere Schulen und vor allem das berühmte Französische Gymnasium. Es wurde Ende 1689 vom Kurfürsten Friedrich III. gegründet und vom französischen Konsistorium unterhalten. Anfangs nur für Franzosen bestimmt, war das Collège Français eine ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch von jungen Deutschen besuchte Bildungsanstalt. Sie tat sich lange schwer, ihre französischen Wurzeln aufzugeben und sich den deutschen humanistischen Gymnasien anzuschließen. Erst nach 1900 gab man das Französische als alleinige Unterrichtssprache auf, um der Abnahme der Schülerzahlen vorzubeugen.

Hilfe für verschämte Arme
Als brandenburg-preußische Haupt- und Residenzstadt hatte Berlin gegenüber den kleineren Kommunen viele Vorteile, denn hier gab es seit dem späten 17. Jahrhundert ein recht gut entwickeltes Netz von Fürsorgeeinrichtungen für Arme, Kranke und Alte, von denen einige bis ins 20. Jahrhundert bestanden. Fleißig wurde in den Kirchen Geld zur Unterstützung der Armen gesammelt, die es natürlich auch in der französischen Gemeinde gab. Wohlhabende Leute bestimmten testamentarisch Teile ihres Vermögens für fromme, karitative Zwecke, und die Hohenzollern sprangen mit namhaften Zuschüssen bei. So konnten Hospitale und Altenheime eingerichtet werden. Sehr lustig ging es dort nicht zu. Von schmaler Kost, strengen Hausordnungen und Strafen bei Widersetzlichkeiten und Alkoholkonsum ist die Rede. Wenigstens aber waren die „Hospitaliten“ von der Straße weg und erhielten ein Mindestmaß an Versorgung und ärztlicher Hilfe. Überdies gab es Pensionate für besser gestellte Personen, Waisenhäuser und sogar bis nach der Reichsgründung von 1871 eine Armenbäckerei und eine Suppenanstalt, bei denen sich die Ärmsten der Armen etwas zu essen holen konnten. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs bestand die französische Holzgesellschaft. Gegründet und finanziert von begüterten Mitgliedern der Französischen Gemeinde und auch vom Staat gefördert, sorgte die Société Française pour le bois, dass so genannte verschämte Arme im Winter Holz und Kohlen als Heizmaterial erhielten. Empfänger dieser Vergünstigung waren Gemeindemitglieder, die noch nicht völlig auf die Armenpflege angewiesen waren. König Friedrich II. unterstützte die Holzgesellschaft, doch reichte das gesammelte Kapital nicht aus, um alle armen und allein lebenden Menschen, die sich natürlich auch ihres erbärmlichen Status schämten, zu unterstützen. Streng wurde auf eine gerechte Holzzuteilung geachtet, ab 1841 wurden aufschlussreiche Kassenberichte veröffentlicht. Vor 1900 verteilte man kein Holz mehr, sondern die zur Heizung besser geeigneten Kohlen. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Inflation gewährte die Holzgesellschaft keine Naturalien mehr, sondern finanzielle Beihilfen für die Heizkosten.

Helmut Caspar

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