"Kolberg“ für die Kriegsmoral -
Vor 60 Jahren wurde der bekannteste Durchhaltefilm der Nazizeit uraufgeführt



Joachim Nettelbeck (Heinrich Gorge) überzeugt Offiziere der Festung Kolberg (rechts Horst Caspar als Gneisenau), lieber zu sterben als einen Meter Boden preiszugeben. Repro: Helmut Caspar

Film ist Waffe, Film ist Opium fürs Volk – das wusste niemand besser als Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels. Schwierige Zeiten vorhersehend, ließ er ab 1943 mit großem Aufwand an kriegswichtigen Gütern und teuren Massenszenen ein Melodram herstellen, das als „der“ Durchhaltefilm der Nazizeit in die Geschichte einging - „Kolberg“. Der über 3000 Meter lange Farbfilm der Ufa, mit 8,5 Millionen Reichsmark eine der teuersten Produktionen der Nazizeit, wurde vor 60 Jahren, am 30. Januar 1945, dem zwölften Jahrestag der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, uraufgeführt und von der Nazipresse emphatisch als „Film der Nation“ gefeiert. Goebbels Urheber versprach sich von ihm wehrkraftfördernde Wirkungen, doch die Zeit war für seine Urheber abgelaufen, die Wirkung war verpufft.

„Kolberg“ schildert Episoden aus der Zeit der Okkupation Preußens durch die Franzosen nach dem Krieg von 1806, in dem Preußen als Verlierer auf der Strecke blieb. Am 1. Juni 1943, nur wenige Monate nach der vernichtenden Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und der Ausrufung des „totalen Krieges“, forderte Goebbels, der „Großfilm Kolberg“ soll am Beispiel dieser Stadt zeigen, „dass ein in Heimat und Front geeintes Volk jeden Gegner überwindet.“ Der Herr über die Medien und die Künste ahnte, dass der Film genau in die militärisch-politische Landschaft passen wird, „die wir wahrscheinlich zu der Zeit zu verzeichnen haben werden, wenn dieser Film erscheint“.

Wenn es um Stärkung der Kriegsmoral und die Entfachung von „völkischen“ Emotionen ging, war das zweifelhafte Talent des damaligen Spitzenregisseurs Veit Harlan gefragt. Er hatte sich seinen Arbeitgebern Hitler und Goebbels bereits durch den antisemitischen Hetzstreifen „Jud Süß“ (1940), den Historienfilm „Der große König“ über Friedrich II. von Preußen (1942) und andere als „staatspolitisch wertvoll“ eingestufte Inszenierungen empfohlen und spielte die Klaviatur der cineastischen Volksverführung blendend. Das trug ihm das Wohlwollen seiner Auftraggeber ein, und so konnte es Harlan auch leisten, mitten im Krieg von der Wehrmacht Regimenter auszuleihen und massenhaft ansonsten rationiertes, weil kriegswichtiges Material zu verbrauchen.

Wie Friedrich der Große niemals kapitulieren und das Letzte für den Sieg geben, eher sterben als sich dem Feind ausliefern – das war die Botschaft von „Kolberg“. Namhafte Künstler wie Heinrich George, Horst Caspar und Paul Wegener wurden aufgeboten, um den kriegsmüden „Volksgenossen“ neuen Mut einzuhauchen. Während sich der preußische König Friedrich Wilhelm III. mit seiner Familie vor den siegreichen Franzosen nach Ostpreußen absetzt und sich Napoleon I., der Sieger der Schlacht von Jena und Auerstedt, in Berlin breit macht, halten die Bewohner der kleinen ostpreußischen Festung Kolberg den französischen Belagerern stand. Natürlich haben die Bewohner Angst. Sie sind uneins, ob sie sich dem übermächtigen Feind ergeben oder ob sie mit Gottvertrauen aushalten. Von dem alten Reeder und Bierbrauer Joachim Nettelbeck, den Heinrich George als gütigen, aber zu allem entschlossener Übervater darstellt, werden die Zaudernden aufgerichtet. „Lieber in Trümmern begraben als kapitulieren“ ist sein Credo. Diesem an seinen Prinzipien eisern festhaltenden Filmhelden schließt sich die Mehrheit der Bewohner und auch die Soldaten an. Kleingeister bleiben auf der Strecke, Feiglinge gehen unter. Seht, so geht es Euch, wenn Ihr aufgeben wollt, lautet die Botschaft an die Deutschen des Jahres 1945.

Unerwähnt ist, dass sich das historische Kolberg nur durch massive englische, dänische und schwedische Hilfe von der Ostsee aus halten konnte. Außerdem übersieht der Film, dass das wirkliche Kolberg von den Belagerern in Schutt und Asche gelegt wurde und die Einwohnerschaft schrecklich leiden musste. Da der Film nicht mit solchen Bildern enden durfte, bettete Harlan das dramatische Geschehen von 1807 in eine Rahmenhandlung ein. Sie spielt 1813, sechs Jahre später, in einer Zeit, da sich Preußens König Friedrich Wilhelm III. an die Spitze der gegen Frankreich gerichteten Volksbewegung stellt. Der zaudernde, ängstliche Monarch wird mit Hinweis auf die mutigen Kolberger von dem ehemaligen Verteidiger der Festung und späteren Feldmarschall Neidhardt von Gneisenau zu diesem Schritt ermuntert. „Das Volk wird die Armee sein, das ganze Volk. Das Volk steht auf, der Sturm bricht los“ schmettert der Film-Gneisenau seinem Oberbefehlshaber entgegen und benutzt die gleichen Worte, mit denen Propagandaminister Goebbels seine berüchtigte Rede von Anfang 1943 „Wollt ihr den totalen Krieg“ enden ließ. Sechs Jahre zuvor hatte Gneisenau in typischer NS-Diktion den Kolbergern zugerufen „Wir lassen nicht los, und wenn wir uns mit unseren Nägeln einkrallen, an unsere Stadt…Dann muss man uns die Hände einzeln abhacken oder uns erschlagen, einen nach dem anderen…Lieber unter den Trümmern begraben als kapitulieren“ – und hatte mit seiner Durchhalterede Erfolg.

Jedes Kind wusste vor 60 Jahren, dass der „Erbfeind Frankreich“ im Verlauf der Befreiungskriege (1813-1815) von deutschem Boden vertrieben wurde und Napoleon I. seine Krone verlor. Das Opfer der Eingeschlossenen damals in Kolberg war also nicht umsonst, und Nettelbeck hatte Recht gehabt, dass sie widerstanden, lautet die durch Harlan vermittelte Botschaft der Naziführung.

„Kolberg“, mit dem Prädikat „staatspolitisch und volkstümlich wertvoll“ bedacht, wurde am 30. Januar 1945, vor 60 Jahren, in Berlin und der von Deutschen besetzten Atlantikfestung La Rochelle uraufgeführt. Goebbels pries den Film als „künstlerisches Loblied auf die Tapferkeit und Bewährung, die bereit ist, auch das größte Opfer für Volk und Heimat zu bringen“. Viel genutzt hat die ideologische Aufrüstung nicht. Die Kriegsmüdigkeit ließ sich durch das Epos nicht bekämpfen. Veit Harlan mühte sich nach dem Krieg, die Mitverantwortung an „Kolberg“ und anderen Streifen auf Goebbels abzuladen und sich lediglich als Befehlsempfänger zu stilisieren. Passiert ist dem „Mitläufer“ nichts, im Gegenteil, in der jungen Bundesrepublik gelang ihm mit einigen Filmen ein Neustart. Heute ist sein Name nur noch Spezialisten bekannt.

Helmut Caspar

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