Ein erster Blick hinter die Große Mauer
Vor 750 wurde der venezianische China-Reisende Marco Polo geboren



Ein Gobelin im Berliner Schloss Charlottenburg zeigt, wie man sich in der Barockzeit das Leben in einer chinesischen Teestube der gehobenen Art vorstellte. (Foto: Preußische Schlösserstiftung)

Der Drang, unbekannte Länder zu besuchen, mit angeblich oder auch wirklich märchenhaft reichen Ländern Handelsbeziehungen aufzunehmen, sich in Reiseabenteuer zu stürzen und Neugier und Abenteuerlust zu befriedigen, war bei vielen Menschen des Mittelalters verbreitet. Während der 1205 gestarteten Kreuzzüge lernten Landsknechte und Adlige das Heilige Land im Vorderen Orient kennen, gründeten dort gar das christliche Königreich Jerusalem, brachten wissenschaftliche und technische Errungenschaften nach Europa. Auf diesem Weg erhielt das Abendland auch Kunde von unbekannten Schriften griechischer und römischer Autoren, die das Denken in der damaligen Zeit wesentlich beeinflussten und bis heute nachhaltig wirksam sind.

Einer der berühmtesten Reisenden der Frührenaissance war der um 1254, vor nunmehr 750 Jahren, in Venedig geborene Handelsmann, Diplomat und Reiseschriftsteller Marco Polo. Er ist Namensgeber von Reiseveranstaltern und touristischer Literatur, und das hat einen guten Grund. Marco Polos Vater Niccolò und sein Onkel Matteo nahmen den Siebzehnjährigen im Jahre 1271 auf eine abenteuerliche Reise ins Innere Asiens mit. Der Reiseweg führte von Anatolien über Armenien und Persien sowie über die legendäre Seidenstraße bis nach China.

24 Jahre in der Fremde
Sich auf eine solche Reise ins Ungewisse zu begeben, war überaus mutig, aber wenn alles gut ging, winkten Reichtum und Einfluss. Bei Marco Polo ging die Rechnung auf. In Khanbalik (Peking) wurden die Fremdlinge vom damaligen Mongolenkaiser Kubilai-Khan freundschaftlich aufgenommen. Handelsbeziehungen zu gegenseitigem Vorteil und das Kennenlernen unbekannter Welten waren das Band, das die Europäer und die Einheimischen verband. Marco Polo erwarb das Vertrauen des Kaisers, bereiste in seinem Auftrag fast alle Provinzen des Landes, machte Vorschläge zur Verbesserung der Wirtschaft und Verwaltung, wurde gar zum Admiral und zum Statthalter einer Provinz ernannt. Erst 1292 erhielt er die Erlaubnis zur Rückkehr in seine Heimat, verbunden mit der Aufgabe, eine mongolische Prinzessin als Braut zu einem persischen Fürsten zu begleiten. Über Indien und Persien gelangte die Reisegesellschaft ans Schwarze Meer und von dort nach Venedig, das 1295, nach 24 Jahren wieder erreicht war.

Wäre Marco Polo doch in China geblieben! Denn schon bald geriet er als Kommandant eines Kriegsschiffes in genuesische Gefangenschaft, doch wusste er etwas aus der erzwungenen Auszeit zu machen. Im Kerker diktierte er seine Erinnerungen dem durch Abenteuergeschichten bekannt gewordenen Schriftsteller Rustichello. Der erlaubte sich nicht nur stilistische Verbesserungen, sondern fügte den Augenzeugenberichten manch wundersame Episoden bei, die Polo irgendwo aufgeschnappt und beiläufig erzählt hat. Die Leser waren damals (und auch heute!) ganz begierig auf solche Informationen, also lieferte man sie dem neugierigen Publikum. Dass Kubilai-Khan, ein Enkel des berühmt-berüchtigten Mongolenherrschers Dschingis-Khan in dem Reisebericht als gerechter, weiser Herrscher geschildert wird, versteht sich von selbst, schließlich hielt er seine Hand schützend über den Venezianer. So betreibt das Erinnerungsbuch so etwas wie Ehrenrettung, denn die Mongolen, die ein paar Jahrzehnte zuvor unter Dschingis-Khan bis an die Grenzen des christlichen Abendlandes gestoßen waren, wurden dort wegen ihrer Eroberungslust und Grausamkeiten gefürchtet.

Fantasievolle Ausschmückungen
Marco Polos Aufzeichnungen über das, was er hinter der Großen Mauer gesehen hat, fanden weite Verbreitung, wurden in französischer, lateinischer und italienischer Sprache zunächst auf kostbar geschmückten Abschriften, nach Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch in gedruckter Form verbreitet. Als man in Europa die Berichte las, ja geradezu verschlang, wunderte man sich sehr über die Errungenschaften ferner Zivilisationen und erkannte, dass Europa durchaus nicht der Nabel der Welt ist. Dass die Chinesen bereits das Schießpulver kannten oder mit bedrucktem Papiergeld und gegossenen Bronzegeld bezahlten und nicht mit Gold- und Silbermünzen, rief Erstaunen hervor.

Die Reiseberichte des Venezianers bestimmten auf lange Zeit das Bild, das sich die Europäer vom Reich der Mitte machten. Man hatte nichts Besseres. Dass dem Verfasser manche Erinnerungsfehler unterliefen, dass er sich bei Namen und Himmelsrichtungen vergaloppierte und auch bei der Berechnung von Entfernungen irrte – wer wollte ihm das verübeln. Viel wichtiger sind bis heute die lebendigen Beschreibungen der Sitten und Gebräuche im alten China, über die märchenhaften Schätze, die am Hof des Großkhans angehäuft wurden, ja auch über die wunderbare Landschaft und die in Europa unbekannte Flora und Fauna, die Marco Polo bei seinen abenteuerlichen Reisen gesehen hat. Da man keine besseren Informationen hatte als seine, nahm man die Ungenauigkeiten und Ausschmückungen hin. Wie nicht anders zu erwarten, regte sich Kritik an Marco Polos Aufzeichnungen, und es wurde sogar bezweifelt, dass der Verfasser tatsächlich in China war.

Als Marco Polo am 8. Januar 1324, vor 680 Jahren, starb, war er ein berühmter Mann. Nachfolgende Reisende nutzten seine Berichte auf ihren Wegen und fügten ihnen weitere Beobachtungen und Legenden hinzu, so dass sich das Bild vom fernen Asien rundete. Die China-Mode der Barockzeit um 1700 nutzte solche Schilderungen, und da man das von Marco Polo schon gekannte Porzellan selber besitzen wollte, importierte man es beziehungsweise stellte es zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Sachsen Dank der Entdeckung des „Weißen Goldes“ durch Johann Friedrich Böttger schließlich selber her. Zeitgleich griff die Chinamode um sich, die sich auch an den malerischen und märchenhaften Schilderungen von Marco Polo und anderer China- und Asienreisender orientierte.

Helmut Caspar

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