Architekt, Forscher, Demokrat
Erbauer der Dresdner Oper Gottfried Semper
vor 200 Jahren geboren



Die Dresdner und ihre Semperoper, das ist eine lange, innige Liebesgeschichte. Auch wenn dort nicht gespielt wird, öffnet sich das Gebäude wenige Schritte von Zwinger, Schloss und Hofkirche entfernt den neugierigen Besuchern zu Führungen. Viele, die den königlichen Prunkt, den vergoldeten Stuck und die farbenfreudigen Ausmalungen genießen, möchten kaum glauben, dass das Haus vor 25 Jahren noch eine Ruine war, übrig geblieben vom Feuersturm im Februar 1945 und nur mit einem Notdach gesichert. Auch wenn anderenorts in der DDR solche Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs abgerissen wurden, weil was Neues, was Modernes her wollte, in Dresden hat man sich das nicht getraut und auch das Schloss, die Frauenkirche und weitere Ruinen für späteren Wiederaufbau stehen lassen, der nun tatsächlich erfolgt. Bei der Oper spielte in der Honecker-Ära wohl auch der Respekt vor dem Baumeister Gottfried Semper als einem der ganz Großen in der Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts eine Rolle. Erleichternd kam hinzu, dass man Semper als einen Revolutionär von 1848 und Barrikadenkämpfer vereinnahmen konnte.

Gottfried Semper, der so nachhaltig das alte Dresden geformt hat, wurde vor 200 Jahren, am 29. November 1803, in Altona als Sohn eines wohlhabenden Wollfabrikanten geboren. Er studierte zunächst ab 1823 in Göttingen Mathematik, befaßte sich aber auch mit Archäologie, die ihn Zeit seines Lebens interessierte. Nach dem Wechsel an die Universität in München wählte er 1825 die Architektur zu seinem Hauptfach und arbeitete anschließend in einem Pariser Architekturatelier.

Vornehm stilisierter Prachtapparat
An der Seine erlebte der politisch stark interessierte Künstler die Julirevolution von 1830, mit der in Frankreich konstitutionelle Verhältnisse geschaffen und die absolute Macht des Königs beschnitten wurde. Nach Studienreisen durch Italien und Griechenland veröffentlichte er eine Untersuchung mit dem Titel „Vorläufige Bemerkungen über bemalte Architektur und Plastik bei den Alten“. Die für damalige Verhältnisse revolutionären Erkenntnisse über die Vielfarbigkeit (Polychromie) von Bauwerken und Skulpturen im antiken Griechenland und Rom wurden von vielen Fachkollegen abgelehnt. Sempers Erkenntnisse nutzten neue naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse, sie passten aber Kritikern nicht in ihr kalkig-weißes Weltbild. Der Architekt nahm es gelassen hin und sollte am Ende Recht behalten. Gottfried Semper sah sich von Paris aus nach einer festen Anstellung um und fand sie in der sächsischen Hauptstadt Dresden, wo er 1834 zum Professor der Architektur an der Königlichen Akademie der bildenden Künste berufen wurde. Hier tat er sich sowohl als Architekturtheoretiker als auch als praktischer Baumeister hervor. Er schuf wichtige Bauten für die königlich-sächsische Regierung sowie Villen für reiche Privatleute, wobei er sich im Stil an Werken der Antike und der Renaissance orientierte. Das entsprach damaligem Zeitgeist. Semper arbeitete kostbar und mit üppigem Dekor. Er entwickelte nach den Worten eines Mitarbeiters „einen wahrhaft cäsarischen Pomp, der aber gleichwohl ein Reichtum höherer Ordnung, kein Gepränge im gewöhnlichen Sinn ist. In diesem ganz vornehm stilisierten Prachtapparat von Säulen, Nischen, Statuen, Kandelabern, Balustraden, Attiken und Quadrigen zeigt sich so recht der fürstliche Haushalt, in welchem sein künstlerischer Genius daheim ist“.

Ins seiner Dresdner Zeit baute Semper unter anderem das Hoftheater (1838-1841), die 1938 von den Nazis zerstörte Synagoge (1838-1840), die Villa Rosa (1839), das Palais Oppenheim (1845-1848) und die dem Renaissance-Stil verpflichtete Gemäldegalerie (1847-1855), mit der Semper eine damals noch offene Seite des barocken Zwingers schloß. Der Architekt vertrat den Standpunkt „Nur einen Herren kennt die Kunst, das Bedürfnis. Sie artet aus, wo sie der Laune des Künstlers, mehr noch, wo sie mächtigen Kunstbeschützern gehorcht“.

Auf der sächsischen Fahndungsliste
Semper fühlte sich, diesem Primat folgend, nicht allein als Produzent hochrangiger Gebäude, sondern auch als politisch denkender und handelnder Mensch. Das brachte ihn in Konflikt mit den damaligen Eliten. Wegen seiner aktiven Beteiligung an der Mai-Revolution von 1849 mußte der Künstler aus Dresden fliehen, ähnlich wie auch sein Freund, der Hofkapellmeister Richard Wagner, der später vom bayerischen König Ludwig II. gefördert wurde. „Mein Auftreten war die eiserne Consequenz der so oft von mir laut ausgesprochene Überzeugung und der Vereitelung der Hoffnungen auf ein vereintes freies Vaterland“, fasste Semper seine revolutionäre Phase zusammen. Jahrzehntelang stand Semper als „Führer der Umsturzpartei“ auf der sächsischen Fahndungsliste, und es sollte lange dauern, bis man ihn im Königreich der Wettiner wieder in Gnaden aufnahm. Zwischendurch betätigte er sich in Paris, dann in London als Baumeister und Schriftsteller. Seine Erkenntnisse hielt er in den Büchern „Die vier Elemente der Baukunst“ (1851) und „Wissenschaft, Industrie und Kunst“ (1852) fest. 1855 wurde er zum Professor für Baukunst an das eben erst gegründete Eidgenössische Polytechnikum in Zürich berufen. Der schweizerischen Stadt schenkte er unter anderem das Hauptgebäude der Lehranstalt sowie in Winterthur das Stadthaus. Zeitgleich brachte er sein Hauptwerk „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik“ heraus. In Zürich erreichten den hochgeschätzten Architekten bedeutende Aufträge, so für den Ausbau der Wiener Hofburg, das Burgtheater sowie das Kunsthistorische Museum. Wer diese Gebäude besucht, wird geblendet sein von Sempers üppigem Baustil.

Millimetergenaue Nachbildungen
Als 1869 das von ihm erbaute Dresdner Hoftheater abbrannte, wurde er mit dem Neubau beauftragt. Weitsichtige Dresdner schätzten ihn als besten Kenner der Materie und setzten sich über regierungsamtliche Bedenken durch. Denn die Berufung geschah nicht ohne politische Kontroversen, weil die sächsische Obrigkeit Sempers Rolle in der Revolution zwanzig Jahre zuvor noch nicht vergessen hatte. Semper verwirklichte von Wien aus seine Pläne für das zweite, in vielen technischen und gestalterischen Details neuartige Opernhaus. In Erinnerung an seine Flucht aus der Elbemetropole anno 1849, mied er diese überließ die Ausführung der Neubaupläne vor Ort seinem Sohn Manfred.

Die letzten Lebensjahre verbrachte Semper wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes vorwiegend in Italien. Am 15.Mai 1879 starb er in Rom. Auf der Brühlschen Terrasse am Dresdner Elbufer hat man ihm ein Denkmal errichtet, und die 1878 eröffnete Hofoper in Dresden trägt seinen Namen. Sie war im Februar 1945 bei dem verheerenden Bombenangriff mit vielen anderen Bauten zerstört worden. Erst in den 1980er Jahren nach wurde das Opernhaus nach allen Regeln der denkmalpflegerischen Kunst aufgebaut. Wer es besucht, wird innen und außen kaum noch die millimetergenauen Nachbildungen und Kopien von den Originalteilen unterscheiden und übrigens auch keine Spuren der Elbeflut vom Sommer 2002 mehr bemerken können.

Helmut Caspar

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