„Wir sind überall“ -
Berliner Stasi-Museum kann historisch wertvolle Bestände nicht aufarbeiten, weil Geld gestrichen wurde



Vor 15 Jahren war in der Stasi-ZentraleMielkes Residenz an der Lichtenberger Ruschestraße der Teufel los.



Fast unverändert blieb die Mielke-Suite erhalten. 70 000 Besucher haben sie im vergangenen Jahr besichtigt. (Fotos: Caspar)

Im Haus 1 der ehemaligen Stasizentrale an der Lichtenberger Ruschestraße sieht es aus, als hätte der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke gerade seinen Arbeitsplatz verlassen. Seit dem Fall der Mauer und der Entmachtung des obersten Sicherheitschefs der DDR vor 15 Jahren hat sich in den Amtsräumen kaum etwas verändert, wenn man von Hinweisschildern für die Besucher und leeren Panzerschränken absieht. Natürlich ist auch die Ausstellung eine spätere Zutat.

Die Dokumentation verbindet erschreckende Zeugnisse für die Terrorisierung und Überwachung der Bevölkerung mit Banalem und Alltäglichem. Eine ganze Industrie muss beschäftigt gewesen sein, um all diese in Koffern, Gießkannen und sogar in Schlipsen versteckten Überwachungskameras und Mikrofone, diese geheimen Funkgeräte und Dechiffriermaschinen herzustellen. Und dann diese schrecklichen, mit Ergebenheitssprüchen an den „verehrten Genossen Minister“ versehenen Geburtstags- und Staatsgeschenke, diese Marx-, Lenin- und Dzierzinski-Büsten, die gewebten Teppiche mit Emblemen der Staatssicherheit, die sich als Schild und Schwert der Partei verstand.

Die Souvenirs standen überall in der Mielke-Etage herum und werden jetzt in gut ausgeleuchteten Vitrinen gezeigt. Und täglich kommen neue Stücke hinzu – Fotos, Briefe, Stasikitsch. „Wir sind an ihnen sehr interessiert, denn sie runden auf emotional bewegende Weise, manchmal auch zum Lachen reizend unsere Vorstellungen von der ,Krake Stasi’ ab“, sagt Jörg Drieselmann, Geschäftsführer der 1990 gegründeten Antistalinistischen Aktion Berlin-Normannenstraße (ASTAK) e. V. Geschildert wird, wie die Opposition in der DDR systematisch überwacht und unterdrückt wurde. Dokumente erhellen überdies die Abhängigkeit der Justiz vom Geheimdienst sowie Umfang und Funktion der Auslandsspionage. Und es wird auf die Frage eingegangen, ob man bei Anwerbungsversuchen „nein“ sagen konnte. Drieselmann kennt Fälle, wo die Stasi von Spitzeln in spe abließ, wenn die nur energisch eine Zusammenarbeit verweigerten.

Hinter jedem Exponat stehen Lebensgeschichten, manche reizen zum Lachen. Da gibt es zum Beispiel eine witzig gemeinte, aber todernste Abschlusszeitung eines Studiengangs der Juristischen Hochschule des MfS in Potsdam. Unter dem Motto „Wir sind überall“ schildern Karikaturen und flotte Sprüche, was Mielkes Leute eben gelernt haben – abhören, aushorchen, mitschreiben, erpressen, denunzieren und im richtigen Moment brutal zuschlagen. „Hier erübrigt sich jeder Kommentar, die bunten Blätter, ergänzt durch Dienstanweisungen und Ministerreden sprechen für sich. Sie und die vielen anderen Exponate sind wichtige Erinnerungshilfen, machen DDR-Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes erfahr- und begreifbar, und sie unterstreichen die Gefährlichkeit von Verklärung der zweiten deutschen Diktatur. Nostalgikern bleibt hoffentlich die Sprache weg, wenn sie sich hier umschauen“, ist Drieselmann überzeugt.

Der eingetragene Verein mit 37 Mitgliedern, der die Gedenkstätte für die Opfer und die Täter seit 1990 unterhält, wird in diesem Jahr gerade so über die Runden kommen. Finanziert wird seine Arbeit aus Mitteln der Stiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur, des Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen sowie aus privaten Spenden. Doch auch das Stasimuseum ist von Mittelkürzungen betroffen. So ist es ihm nicht möglich, die 60 000 bis 80 000 Exponate wissenschaftlich zu katalogisieren und für die Forschung aufzubereiten.

Dass der Bereich der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, also die Birthler-Behörde, jetzt vom Bundesinnenministerium an die Kulturbeauftragte der Bundesregierung Christina Weiss übergegangen ist, betrachtet Drieselmann mit gemischten Gefühlen. Vor allem die Absicht, „erinnerungspolitische Aufarbeitung aus einem Guss“ zu betreiben, wie jetzt angekündigt wurde, habe einen merkwürdigen Beigeschmack. „Mir klingt das zu sehr nach Herrschaftspolitik“, sagt der 49jährige, der 1974 wegen so genannter staatsfeindlicher Hetze unter der Verfolgung der Stasi zu leiden hatte und eingesperrt wurde. „Wir warten ab, was wird, außerdem ist unser Museum eine vom Staat unabhängige Einrichtung“.

Dass die Ausstellung großes Interesse findet, zeigen die Besucherzahlen. Rund 1500 Gruppen beziehungsweise 70 000 Personen kamen im vergangenen Jahr. Für den 15. Januar erwartet Drieselmann neuen Ansturm. Denn ein paar Schritte weiter wird bei einem Tag der offenen Tür an den Sturm auf den Sitz von Mielke & Co. durch DDR-Bürgerkomitees vor genau 15 Jahren erinnert. Die Birthler-Behörde lädt ab 10 Uhr ein zur Besichtigung des Archivs und des gesamten Stasi-Geländes. Zeitzeugen und Historiker setzen sich mit den Vorgängen an jenem 15. Januar 1990 auseinander und versuchen dabei auch die Frage zu klären, ob die Stasi bei der Erstürmung die Hand im Spiel hatte, um beim allgemeinen Chaos geheime Akten verschwinden oder außer Landes zu bringen.

Die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße im Haus 1 des ehemaligen Stasikomplexes, Ruschestraße 103, 10365 Berlin-Lichtenberg, ist Montag bis Freitag von 11 bis 18 Uhr, am Wochenende von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 3,50, ermäßigt 2,50 Euro, Telefon 553 6854, Internet www.stasimuseum.de.

Helmut Caspar

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