Die Gießkanne als Fotoapparat -
CDU-Chefin sah sich leicht fröstelnd in Mielkes Büros um und sprach mit Opfern der SED-Diktatur



Gedenkstättenleiter Jörg Drieselmann (l.) erläutert Angela Merkel und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Günter Nooke, was sich hinter dem Begriff "Stasizentrale Ruschestraße" verbirgt. (Foto: Caspar)

Irgendwie wusste man in der früheren DDR, dass man abgehört und bespitzelt wurde. Blick nach hinten und Vorsicht beim Telefonieren waren Alltag, denn die Staatsmacht war überall, und nichts nahm sie in ihrem unendlichen Drang, alles zu wissen und überall dabei zu sein, aus. Das klingt heute sehr weit entfernt und unwirklich. Aber wenn einem die Praktiken der Staatssicherheit im Haus 1 des ehemaligen MfS an der Lichtenberger Ruschestraße so unmittelbar anhand von Bildern und Dokumenten präsentiert werden, dann kommen auch 15 Jahre danach Gefühle zwischen Grusel und Abscheu, ja auch kalte Wut auf. 20 000 hauptamtliche Stasi-Leute waren hier rund um die Uhr mit Terror- und Überwachungsaufgaben im In- und Ausland beschäftigt, angetrieben durch den allgewaltigen Minister Mielke, der sich im Wendeherbst 1989 zu der inzwischen zum geflügelten Wort avancierten Behauptung verstieg „Ich liebe euch doch alle“.

Als am 19. Januar 2005 die CDU-Vorsitzende Angela Merkel die Stasi-Zentrale besuchte, um mit Vertretern von Opferverbänden zu sprechen, waren ihr Unwohlsein und Erschrecken durchaus anzumerken. Die fast unverändert erhalten gebliebenen Örtlichkeiten in Mielkes Sitz Haus 1 sind Merkel bekannt. Schon als Bundesministerin hatte sie sich in die Höhle des Löwen begeben, und so war ihr auch die lachhaft anmutende Bürotechnik, derer sich der Stasi-Chef bediente, die mit einem schrecklichen Blau bezogenen Stühle und all dieser Stasikitsch in der Ausstellung durchaus geläufig, den ihr Gedenkstättenleiter Jörg Drieselmann als „Kultur am Arbeitsplatz der besonderen Art“ vorstellte.

Neu war Merkel wohl die Raffinesse der vielen in den Vitrinen ausliegenden Observationsgeräte. Bei ihrer Konstruktion waren Mielkes Leute ausgesprochen kreativ, wie eine Art fotografierende Gießkanne beweist. Mit ihr konnte man Blumen gießen mit einer kleinen Kamera im doppelten Boden so genanntes Feindverhalten dokumentieren. „Man sieht wieder einmal, wie wach und präsent die Stasi war und welche Gefahr von ihr ausging“, sagte die auch nach dem Lesen von Instruktionsmaterialien und Befehlen des Stasi-Chefs ein wenig fröstelnde Parteichefin. „Ich empfinde es als große Erleichterung, dass diese Repression und Schnüffelei vorbei ist, aber sie darf nicht Vergangenheit sein. Wir müssen dafür zu sorgen, dass das Wissen um die Gefährlichkeit der SED-Diktatur und ihre menschenverachtenden Machenschaften nicht verblasst. Selbstverständlich werden wir einen authentischen Ort wie das Haus 1 und andere Hinterlassenschaften dieser Art erhalten und fördern, wenn es 2006 zum Regierungswechsel kommt“, versprach die Parteivorsitzende, und die Mitarbeiter der Gedenkstätte hörten es mit Interesse.

So gut bürgerschaftliches Engagement etwa für Mielkes ehemaligen Sitz Haus 1 mit jährlich 70 000 Besuchern ist, so wichtig ist es auch, dass sich Museologen, Historiker und andere Fachleute um dieses Erbe kümmern und es in allen seinen Facetten professionell erforschen und verbreiten. Das bedeutet auch, dass inhaltliche Fragen auf den Prüfstand gestellt werden. Gedenkstättenleiter Drieselmann hat damit kein Problem und sagt konstruktive Zusammenarbeit zu. Er vernahm zwar von Angela Merkel keine definitiven Förderzusagen, zeigte sich aber beeindruckt „von ihrem tiefen Verständnis für unsere Probleme“. Inwieweit die Politikerin ihre Möglichkeiten zu handfesten Maßnahmen nutzt, wird sich demnächst zeigen, denn Mitte Februar gibt es eine Anhörung im Kulturausschuss des Bundestages über den Umgang mit Gedenkstätten beider deutscher Diktaturen. Da Wissenschaft, Kultur und Kultur sowie Denkmalpflege Angelegenheit der Länder sind, soll unter anderem diskutiert werden, wer für Gedenkstätten von herausragender nationaler und internationaler bedeutung zuständig ist und wie man sie weiter qualifiziert. Es muss aber auch darüber gesprochen werden, wer für Unterhalt und Sanierungsmaßnahmen aufkommt. Mielkes Haus 1 ist 40 Jahre alt. Es regnet zwar nicht durch, aber irgendwann sind teure Reparaturen fällig, und die können die Vereine und Verbände, die sich um die Hinterlassenschaften des DDR-Sicherheistdienstes kümmern, nicht aufbringen.

Helmut Caspar

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