Stasi-Bastille wurde besenrein übergeben -
Geheime Innenansichten aus dem ehemaligen Sperrbezirk in Hohenschönhausen veröffentlicht



Ein großer Findling auf der Freifläche hinter dem Untersuchungs-
gefängnis erinnert an die vielen Opfer kommunistischer Gewalt-
herrschaft. (Foto: Caspar)

Als das Ministerium für Staatssicherheit und weitere Stasi-Verwaltungen gestürmt und aufgelöst wurden, herrschte in den Gefängnissen des DDR-Geheimdienstes Friedhofsruhe. Die Bürgerbewegung machte, man kann es kaum glauben, um die geheime Haftanstalt in Hohenschönhausen und all die anderen geheimen Objekte rund um die Genslerstraße und Bahnhofstraße einen großen Bogen. Indem die auf keiner Karte verzeichnete Stasi-Bastille im Bezirk Lichtenberg unberührt blieb, konnten die Wächter die Spuren jahrzehntelanger Drangsalierung von Regime-Gegnern beseitigen und Listen über 40 000 Menschen vernichten, die nach dem Kriegsende im sowjetischen Speziallager Nummer 3 und ab 1951 von der Staatssicherheit unter unmenschlichen Bedingungen und von der Außenwelt total abgeschirmt gefangen gehalten wurden. Tonnenweise verschwand technisches Gerät auf Nimmerwiedersehen, das auf dem nach und nach zugebauten früheren Industriegelände am Rande Berlins hinter hohen Mauern zum Zweck der Spionage und Bespitzelung hergestellt wurde. Indem die Schergen belastende Sachzeugen und Dokumente vernichteten, wollten sie sich weiße Westen zu verschaffen. Vielen in Hohenschönhausen beschäftigten Stasileute gelang nach der Wiedervereinigung ein Neuanfang; kaum einer wurde zur Rechenschaft gezogen.

Einzelheiten über das, was sich hinter Betonmauern, Stahltüren und Stacheldrahtverhauen abspielte, schildern die Historiker Peter Erler und Hubertus Knabe in ihrem neuen Buch „Der verbotene Stadtteil – Stasi-Sperrbezirk Berlin-Hohenschönhausen“ (Jaron Verlag Berlin 2005, 96 S., zahlr. Abb., 9,95 Euro, ISBN 3-89773-506-7). Bei der Buchvorstellung erläuterten die Autoren vor kurzem im Beisein von früheren Häftlingen, dass das Gefängnis und die vielen anderen MfS-Gebäude am 3. Oktober 1990, dem Tag der deutschen Einheit, besenrein übergeben an die wurden. Die auch Tigerkäfige genannten Kojen, in denen die wegen des Vorwurfs der Sabotage, Republikflucht und so genannter Staatsfeindlicher Hetze einsitzenden Häftlinge ein bisschen frische Luft schnappen konnten, waren zu diesem Zeitpunkt abgerissen und sind heute nur noch durch Fotos und Beschreibungen nachzuweisen. Holzpritschen in den Zellen hat man durch Betten ersetzt, und auch Besucherzimmer, die es nie im Stasi-Knast gegeben hat, wurden schnell noch eingerichtet. Sogar Blumenkästen wurden aufgestellt. Während die bisherigen Gefangenen Ende 1989 aufgrund einer Amnestie der Modrow-Regierung entlassen wurden, wurden neue, prominente Häftlinge eingeliefert. Politibürogrößen wie der ehemalige Stasi-Minister Mielke und Wirtschaftschef Mittag sollten es doch „schön“ haben im gewendeten Stasi-Knast.

Bei der Buchvorstellung schilderte der ehemalige Stasi-Häftling Mike Fröhnel mit von Zorn bebender Stimme, dass er erst nach seiner überraschenden Entlassung Anfang Dezember 1989 vom Fall der Mauer erfahren hat. „Die Stasi war das Grab meiner Jugend. Uns wurde absichtlich verheimlicht, dass die SED-Herrschaft vorbei ist. Damit wollte man wohl Meutereien und einem Massenausbruch vorbeugen, und auf jeden Fall wollte man eine Verbrüderung zwischen den Häftlingen und der Bürgerbewegung verhindern. Als ich draußen war und mich auf einer Polizeidienststelle melden musste, fiel mir der ungewohnt freundliche Ton dort auf. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um nicht dreinzuschlagen. Als ich den weißen Streifen an der Grenze zwischen Ost- und Westberlin überschritten hatte, überkam mich so etwas wie Ohnmacht, aber ich fühlte ich mich zum ersten Mal in meinem Leben wirklich frei.“

Das neue Buch setzt den Opfern der kommunistischen Gewaltherrschaft ein Denkmal und weist mit seinen vielen bisher unveröffentlichten Dokumenten und in Stasi-Archiven entdeckten Fotos auf einen weißen Fleck der DDR-Geschichte hin und wird, wie Erler und Knabe ankündigten, Ausgangspunkt weiterer notwendiger Forschungen sein. Die Publikation sei ein Beitrag zur Aufarbeitung des DDR-Unrechts und diene zugleich als Informationsmaterial für Besucher der heutigen Gedenkstätte. Im Rahmen von Führungen können sie das ehemalige Stasi-Gefängnis, Genslerstraße 66 in 13055 Berlin-Hohenschönhausen, besichtigen. Anmeldungen werden unter der Rufnummer 030/98608230 erbeten, weitere Informationen stehen im Internet unter www.stiftung-hsh.de.

Helmut Caspar

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