„Wir schließen die Tore der Stasi!“
Beim Tag der offenen Tür sollen die Vorgänge bei der Montagsdemo vor 15 Jahren geklärt werden

„Schreibt Eure Forderungen an die Mauern der Normannenstraße! Bringt Farbe und Spraydosen mit! Wir schließen die Tore der Stasi! Bringt Kalk und Mauersteine mit!“ - das Neue Forum hatte sich vor 15 Jahren einiges vorgenommen, als es mit solchen Sätzen zu einer Montagsdemo der besonderen Art vor Mielkes Hauptquartier an der Ruschestraße in Lichtenberg aufrief. Mit der spektakulären Aktion am 15. Januar 1990 wollten Bürgerrechtler „Ohne Gewalt – mit Farbe und Phantasie“, so eine Plakatüberschrift, den Druck auf die Modrow-Regierung verstärken, die Auflösung des DDR-Geheimdienstes zügig voranzutreiben und Ermittlungsverfahren gegen seine Mitarbeiter einzuleiten. Erst nach diesem spektakulären Ereignis sah sich die Regierung genötigt, die Arbeit des einst mächtigen Repressionsapparats einzustellen.

Wenn Marianne Birthler, die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, heute (15. 1.) ab 10 Uhr zum Tag der offenen Tür unter dem Motto „Ende einer Dienstzeit“ in das ehemalige Stasigelände zwischen Ruschestraße und Normannenstraße einlädt, wird Gelegenheit sein, ein wenig Licht in die dramatischen Vorgänge von damals zu bringen. Denn nach wie vor hält sich das Gerücht, dass der Sturm auf das MfS und die Demolierung von Versorgungseinrichtungen und Mobiliar von der Stasi selbst inszeniert wurden, um unbemerkt brisante Akten beiseite zu schaffen und die Bürgerbewegung als doch nicht so gewaltfrei in Misskredit zu bringen. Erste Vermutungen in dieser Richtung kamen unmittelbar nach dem 15. Januar 1990 auf und wurden seither in diversen Publikationen über das Ende von Mielkes Truppe erörtert, nicht aber endgültig geklärt.

In einer Podiumsdiskussion im DB-Casino sollen Fragen rund um den 15. Januar 1990 und die Folgen geklärt werden. Tausende Demonstranten rückten an jenem Montagabend den im Ministerium für Staatssicherheit tätigen Geheimdienstlern auf den Pelz und setzten ihrer Arbeit ein vorzeitiges Ende. Zur symbolischen Einmauerung des Geländes kam es, wie man weiß, nicht. Das Tor wurde rechtzeitig von innen geöffnet, von wem, ist nie richtig geklärt worden. Bürgerrechtler haben immer jeden Verdacht von sich gewiesen, verlängerter Arm der Stasi gewesen zu sein – und sie werden heute dazu sprechen.

Marianne Birthler hofft auf viele Besucher, sie erwartet vom Tag der offenen Tür, dass Zeitzeugen ihre Erfahrungen und Beobachtungen einbringen und die Erinnerung an das, was die „Krake Stasi“ bedeutete, wach gehalten wird. Wer kommt, habe Gelegenheit, unter fachkundiger Führung Aktenmagazine, Karteiräume und die Restaurierungswerkstatt zu besichtigen und dabei auch zu erfahren, welche Unterlagen der Vernichtung entgangen sind und welche Methoden angewandt werden, die in Säcken verstauten Aktenschnipsel wieder lesbar zu machen. Besucher können an Computern solche Relikte wieder zusammensetzen oder Ausschnitte aus Filmen und TV-Sendungen über die Stasi und ihre durch die Bürgerbewegung von damals forcierte Auflösung betrachten. Darüber hinaus haben Interessenten Gelegenheit, sich an Hör- und Filmstationen über die Machenschaften und Methoden des Geheimdienstes im In- und Ausland zu informieren und Anträge zur Akteneinsicht abzugeben. Angekündigt sind ferner Lesungen aus Spitzelberichten über Bürgerrechtler, und wer Geschmack an kämpferischer Feierabend-Lyrik hat, die Mielkes Leuten produziert haben, bekommt auch davon Kostproben zu hören. Kultureller Höhepunkt des Veranstaltungsmarathons ist ein Konzert, das der Liedermacher Wolf Biermann ab 17 Uhr gibt.

Eine eben eröffnete Ausstellung im Amtssitz der Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Karl-Marx-Allee 1/Otto-Braun-Straße 70-72 in Berlin-Mitte, zeigt Fotografien des Bildreporters Andreas Schoelzel. Darunter befinden sich eindrucksvolle Aufnahmen vom 15. Januar 1990 und nachfolgenden Ereignissen in Ost-Berlin und der DDR-Provinz. Zwar ist das Betreten der Birthler-Behörde nur eingeschränkt möglich, aber es wird Sorge getragen, dass die Fotos werktags von 10 bis 16 Uhr angesehen werden können.

Helmut Caspar

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