Roter Platz statt Residenz -
Vor 55 Jahren kündigte SED-Chef Walter Ulbricht den Abriss des Berliner Schlosses an



Bis auf Parlamentsbeschlüsse und andere gute Absichtserklärungen sowie Figuren, Steinbrocken, Computersimulationen und Modellen gibt es vom Berliner Schloss bisher noch nicht viel zu sehen. Ein gewaltiges Säulenkapitell kann man in der Nähe der Ruine Klosterkirche im Bezirk Mitte bewundern. (Foto: Caspar)

Auf dem III. Parteitag der SED kündigte Parteichef Walter Ulbricht vor 55 Jahren den Abriss des Berliner Schlosses an. Der Parteichef tat dies an jenem 22. Juli 1950 nicht direkt, aber jeder wusste, dass das Schicksal des 500 Jahre alten, im Zweiten Weltkrieg von Bomben getroffenen Hohenzollernbaues besiegelt ist. „Das Zentrum unserer Hauptstadt, der Lustgarten und das Gebiet der jetzigen Schlossruine müssen zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem der Kampfwille und Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden“, rief Ulbricht seinen Zuhörern zu. Dies übrigens zur gleichen Zeit, da sich DDR-Präsident Wilhelm Pieck in einem anderen Hohenzollernschloss, der Residenz der Königin Elisabeth Christine draußen im Pankower Stadtteil Schönhausen, wohnlich einrichtete. Der Abscheu vor den Hinterlassenschaften der ehemaligen „Ausbeutern“ hielt sich offenbar ziemlich in Grenzen.

Werk von Generationen
In der staatlich gelenkten Ost-Berliner Presse wurde Ulbrichts Ankündigung als Teil eines „großangelegten Wiederaufbauplans“ gefeiert. Bereits am 12. Februar 1950 hatte die „Berliner Zeitung“ davon gesprochen, dass das Eosanderportal des Schlosses aus kulturhistorischen Gründen erhalten werden soll, während „der Rest jedoch abgetragen werden muss“. Kein Wort, dass der Verlust des Schlosses eine schmerzliche Lücke in die Innenstadt reißen würde. Unerwähnt blieb auch, dass an der Hohenzollern-Residenz mit ihren beiden Innenhöfen und der gewaltigen Kuppel zur Spreeseite hin seit dem 15. Jahrhundert die Crème der brandenburgisch-preußischen Architekten, Bildhauer und Maler gewirkt hat. Und auch das Argument, das Schloss lasse sich zunächst sichern, um es dann in den kommenden Jahrzehnten ohne Zeitdruck aufzubauen, wie das tatsächlich im Falle des Dresdner Schlosses geschah, war keine Zeile wert. Vergessen war auch, dass bald nach Kriegsende in der Schlossruine sogar erste Ausstellungen gezeigt wurden.

Das Berliner Schloss, an dessen Stelle der Palast der Republik errichtet wurde, hätte aufgebaut werden können, wenn man nur gewollt hätte; darin waren sich Experten vor 55 Jahren einig. Die dicken Außenmauern waren im Wesentlichen erhalten, wenn auch stark beschädigt, viele Innenräume existierten noch, wie Fotos zeigen, die vor- und während des Abrisses angefertigt wurden. Die Kostengründe waren nicht stichhaltig, denn die Sicherung der Ruine wäre billiger zu haben gewesen als dann der Abriss und die Entsorgung des Trümmerschutts zu Buche schlug. Ungleich höher wäre der Prestigegewinn gewesen, den die DDR-Regierung eingeheimst hätte, wenn sie das Schloss stehen gelassen und es später aufgebaut hätte.

Lustgarten als zentraler Punkt
In Ost-Berliner Presseberichten hieß es, Bauexperten der DDR hätten sich in Moskau umgeschaut und Anregungen zum Umbau der, wie es damals noch in Abgrenzung zu Bonn hieß, „deutschen Hauptstadt Berlin“ mitgebracht. „Der zentrale Punkt wird der Lustgarten, der durch den Abriss des Schlosses erheblich erweitert wird, wobei künstlerisch wertvolle Teile, wie der Schlüterhof, erhalten bleiben und an anderer Stelle Aufstellung finden“, hieß es im „Nachtexpress“. Zwar fiel in dem Bericht nicht der Begriff „Roter Platz“, aber man wusste, daß die SED- und Staatsführung einen großen Aufmarschplatz verlangten, in dem wie vor dem Lenin-Mausoleum in Moskau die werktätigen Massen paradieren würden.

Der Einwände von Kunsthistorikern und Architekten im Ost- und im Westteil der Stadt wurden mit dem Argument vom Tisch gewischt, daß der Wiederaufbau des Schlosses viel zu teuer, wenn nicht gar unmöglich ist. Außerdem hätte man mit dem Wiederaufbau der Stadt und der Schaffung von Wohnraum zu tun, diese Aufgaben hätten Vorrang.

Ulbrichts Ankündigung schlug hohe Wellen. Im Westteil der Stadt gab es beißende, aber fruchtlose Kommentare. Von Kulturbarbarei war die Rede, von schändlichem Umgang mit kulturellen Werten. Da der Abriss beschlossene Sache war, wurden in der Parteispitze und der DDR-Regierung Gutachten und Memoranden ungelesen beiseite geschoben.

Einwände vom Tisch gefegt
In einer dieser Deklarationen schrieb der allseits geachtete Kunsthistoriker Richard Hamann unter Hinweis auf offizielle Verlautbarungen der DDR zur „Pflege und Weiterentwicklung des deutschen Kulturerbes“ und Blick auf die hohen Kriegsschäden, Berlin sei arm an Denkmälern der Vergangenheit. „Aber es besitzt ein Werk, das sich den größten der Vergangenheit würdig anreiht und in allen Kunstgeschichten der Welt genannt und abgebildet ist: das Berliner Schloss. Sein Schöpfer ist der größte Bildhauer und Architekt in Norddeutschland, Andreas Schlüter. In Ruinen steht es da: noch immer von einer faszinierenden Wucht und Monumentalität, ein Repräsentant des spezifisch norddeutschen Barock, der sich Michelangelos St. Peter in Rom, dem Louvre in Paris würdig zur Seite stellt.“ Eine Wiederherstellung des Gebäudes und eines Teils der Innenräume sei möglich, so Hamann. Bei einem in Berlin so seltenen und in der Welt einzigartigen Denkmal der schöpferischen Kräfte des Nordens dürften Kosten keine Rolle spielen, schon garnicht politische Gründe. Das Schloss sei der „regierende Bau, jede Regierung könnte ihn mit neuem Leben füllen“, mahnte der Kunsthistoriker, doch die SED-Gewaltigen waren an seinem Rat nicht interessiert. DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl verstieg sich in der Behauptung, in ein paar Jahren werde kein „Hahn“ mehr nach dem Schloss krähen, wenn es erst von der Bildfläche verschwunden ist. Wie sollte er sich irren. Das Schloss war und blieb in Erinnerung, sein Wiederaufbau ist nur noch eine Frage der Zeit.

Bedeutende Reste erhalten
Das Berliner Schloss wurde im Winter 1950/51 nicht einfach in die Luft gesprengt. Vielmehr wurden einige künstlerisch wertvolle Architekturdetails und Figuren demontiert und in Museen eingelagert. Die Masse des Trümmerschutts wurde zermahlen und der Baustoffindustrie zugeführt. Über den Abtransport des Schutts wurden Protokolle angefertigt, die bei der Suche nach Schlosstrümmern behilflich sind. Solche Deponien wurden im Volkspark Friedrichshain, im Stadtforst südlich vom Müggelsee, in Schmöckwitz, Schwanebeck und in Heinersdorf angelegt. Bisher hat es nur einige Suchgrabungen gegeben, die sich nach Auskunft von Fachleuten als recht aussichtsreich erweisen. Ein wichtiger Lagerplatz befindet sich in Ahrensfelde, wo Teile des Portals V sowie Fensterumrahmungen, Säulen und andere Fragmente aufbewahrt werden. Auch im Depot des Landesdenkmalamtes auf dem ehemaligen Stasi-Gelände an der B 1 nahe dem Tierpark Friedrichsfelde werden Figuren und andere Schlossrelikte verwahrt. Fachleute vermuten, dass einiges auch beim Abriss des Schlosses in private Hände gelangt ist, und hoffen, dass diese an das Landesdenkmalamt zurückgegeben werden. Berliner Museen besitzen überdies künstlerisch wertvolle Relikte wie Wand- und Deckenstuck sowie barocke Sandsteinfiguren von der Außenfassade und vom Schlüterhof, der in dem irgendwann wieder aufgebauten Schloss rekonstruiert werden soll. Details aus Stuck und Sandstein sowie bewegliche Ausstattungsstücke befinden sich im Märkischen Museum, in den Staatlichen Museen auf der Museumsinsel, im Zeughaus Unter den Linden, im Schloss Friedrichsfelde sowie in den Potsdamer Schlössern.

Helmut Caspar

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