Geknetet, gestochen und gebrannt
Kein Baumaterial war so erfolgreich wie der
vor allem in Norddeutschland eingesetzte Backstein

(Foto: Caspar)

Stralsund. Vor tausend Jahren war Holz als Baumaterial ein beliebter, überall verfügbarer Stoff, doch es hatte seine Tücken. Man konnte mit ihm nur eher bescheidene Burgen, Kirchen, Wälle oder Wohnhäuser konstruieren, und auch die Brandgefahr war nicht zu unterschätzen. Ausserdem hält Holz nicht ewig, und Konservierungsmaßnahmen wie heute kannte man noch nicht. Hilfe kam im Ostseeraum von Granitfindlingen, die überall lagen. Man schichtete sie kunstvoll zu Mauern auf. Viele Dorfkirchen entlang der Küste und im Landesinneren, doch auch Stadtmauern sind aus solchen mal original-buckligen, mal behauenen und geglätteten Überbleibseln der Eiszeit gefügt, und da man die Steine raffiniert mit Kalkmörtel miteinander verband, stehen sie noch heute.

Unschlagbar indes war, was seine Möglichkeiten, auch große Gebäude mit weit gespannten Gewölben und reichem bildnerischem Schmuck zu errichten betrifft, der Backstein. Aus solchen Tonziegeln hat man schon vor tausenden von Jahren im Vorderen Orient riesige Grabhügel und Tempel errichtet. Wo sie aus luftgetrocknetem und nicht aus gebranntem Material bestanden, sind diese Bauten mit der Zeit vergangen und nur noch als künstliche Hügel in der Landschaft zu erkennen. Anders dort, wo man mangels Sandstein, Tuff oder Granit sich auf die Kunst des Ziegelbrennens verlegte. Die Römer vor allem verstanden sich virtuos auf den Ziegelbau. Viele ihrer Prunk- und Wohngebäude bestehen aus den preiswerten Quadern aus Lehm oder Ton. Doch da das rötliche oder gelbliche Material in den Augen der Cäsaren wenig repräsentativ erschien, hat man es verputzt oder gar mit Marmorplatten und anderen Steinen verkleidet. Vom Kaiser Augustus wird gesagt, er habe Rom als Stadt aus Ziegeln kennen gelernt und eine aus Marmor hinterlassen.

Reize des rohen Steins
In der Renaissance und dem Barock galt rohes Mauerwerk als unschicklich, und so hat man die Ziegelsteine, wo es möglich war, verputzt. Solche Mörtelschichten hatten nicht nur konservierende und dämmende, sondern auch schmückende Funktionen, man konnte sie sogar bemalen und damit edles Material vortäuschen. Erst im frühen 19. Jahrhundert, als man „neogotisch“ zu bauen pflegte, entdeckte man die Reize des unverputzten Backsteins.

Natürlich haben die Römer auch in ihren Provinzen mit Ziegelsteinen gebaut, und von daher kannten die Germanen, Slawen und andere Völker ihre vielfältigen Eigenschaften. Da Lehm und Ton überall gefunden und abgebaut wurde, hat man das Material vor Ort gebrannt. Ganze Wälder wurden dem Backstein, wie man im Norden zu diesem ebenso praktischen wie vielseitigen Baustoff sagt, geopfert. Backstein wurde in christlicher Zeit für würdig erachtet, dass man aus ihm auch Kirchen errichtet. Bischof Hermann von Verden gehörte zu den frühesten Kirchenfürsten, die damit bauen ließen. Auf seiner Rückseite von Rom hatte er Mitte des 12. Jahrhunderts Backstein kennen gelernt und in seiner Diözese eingeführt. Tatsächlich zählen die Kirchen in Verden zu den ältesten, noch eher gedrungen konstruierten Backsteinbauten in Norddeutschland, erkennbar an den Rundbögen bei Fenstern, Türen und Gewölben. Seit dem 14. Jahrhundert war man in der Lage, höher und eleganter zu bauen. Möglich war dies durch eine Novität – den Spitzbogen. Allen Werken der Backsteingotik, ob Kirchen, Rathäusern, Stadttoren, Wohn- und Handelshäusern usw., ist dieses Merkmal eigen. War der architektonische Schmuck der romanischen bauten noch bescheiden, so trumpfen die Bauten aus der Gotik durch filigrane Rosetten in den bunt bemalten Fenstern sowie durch farbig glasierte und mit kleinen Reliefs belegte Schmuckbänder und Friese auf.

Wichtiger Wirtschaftszweig
Schaut man sich diese Bauten genauer an, so fallen unterschiedliche Formate auf. Neben flach gestrichenen kleinen Ziegeln gibt es auch solche im eindrucksvollen Klosterformat. Überliefert ist, dass der von unliebsamen Einschlüssen gereinigte Lehm oder Ton zunächst geknetet und größeren Kuchen ausgeschnitten wurde. Das feuchte Material wurde in Holzrahmen gepresst und glatt gestrichen. Nach der Entfernung der Rahmen erfolgte die Trocknung an der Luft und der Brand im Ofen. Neben einfachen Ziegeln hat man auch zahllose Form- und Schmucksteine gefertigt, wobei Schablonen und Modeln zum Einsatz kamen. Bei den Millionen Ziegeln, die für den Bau unserer großen Kathedralen, Rathäuser, Stadttore usw. gebraucht wurden, lässt sich gut vorstellen, dass die Backsteinproduktion ein wichtiger Wirtschaftszweig war. Viele Leute verdienten damit in Ziegeleien oder als Zulieferer ihren Lebensunterhalt. Ganze Wälder wurden verheizt – und oft nicht mehr aufgeforstet, was zu ökologischen Veränderungen geführt hat. Natürlich gaben die Wälder auch das Bauholz für Dachkonstruktionen und Gerüste her. Wie im vergangenen Jahr in den Ausstellungen in Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald „Wege zur Backsteingotik“ zu erfahren war, waren die Baugerüste einfach konstruiert und wurden durch Stricke und Eisenklammern zusammengehalten. Tödliche Unfälle blieben nicht aus. Auch daran sollten wir denken, wenn wir uns am Anblick der großartigen Monumente der Backsteingotik erfreuen.

Buch und Video zum Thema
Der Kunsthistoriker und Vorsitzende der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Gottfried Kiesow, hat im Bonner Monumente Verlag eine gut lesbare, informative Einführung zum Thema „Wege zur Backsteingotik“ heraus gebracht. Das Begleitbuch zur gleichnamigen Ausstellung vom vergangenen Jahr in den norddeutschen Hansestädten ist ein informativer, gut illustrierter Reisebegleiter, hat 220 Seiten, zahlreiche Farbbilder und kostet 12,90 Euro. Es ist im Buchhandel oder beim Monumente Verlag, Dürenstraße 8, 53173 Bonn, Tel. 0228/97350 erhältlich. Der Band macht mit herausragenden Sakral- und Profanbauten in Norddeutschland bekannt und vermittelt Basiswissen über die Art und Weise, wie und mit welchen Materialien diese Monumente der Backsteingotik errichtet wurden und was sie im Inneren zusammen hält. Zeitgleich kam ebenfalls im Monumente Verlag die von der Fernsehjournalistin Monika Schepler geschaffene und schon mehrfach im TV gesendete Dokumentation „Backsteingotik in Mecklenburg-Vorpommern“ heraus. Das mit ungewöhnlichen Ansichten gespickte Video hat eine Länge von 59:30 Minuten und kostet 9,90 Euro. Der Reinerlös vom Verkauf wird von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz für Restaurierungsmaßnahmen verwendet.

Helmut Caspar

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