Archäologie des Grauens -
Neue Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte Berlin zeigt Fundstücke aus der Kriegszeit



Aus dem Trümmerschutt geborgene Reste der Sektkellerei Lutter und Wegener sind in der neuen Ausstellung „Archäologie des Grauens“ zu sehen. (Foto: Caspar)

Lange wurden archäologische Fundstücke, die kaum älter als 50 oder 100 Jahre alt sind, als wenig aussagestarke Dokumente angesehen, um die sich die Forschung kaum kümmerte. Diese Sichtweise änderte sich, je öfter Bodendenkmalpfleger als baubegleitende Fachleute auf ehemaligen Trümmergrundstücken oder bei der Anlage von Straßen oder Versorgungsleitungen fündig wurden. Was dabei in den vergangenen 15 Jahren zutage trat, ist in einer bis zum 11. September 2005 laufenden Ausstellung des Museums für Vor- und Frühgeschichte Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Langhansbau des Schlosses Charlottenburg zu sehen. Ihr Titel „Archäologie des Grauens“ führt zurück in die NS-Zeit und die Bombennächte des Zweiten Weltkriegs. Zu sehen sind unter anderem Überreste aus Stein und Metall, die in den Trümmern und Kellern der früheren SS- und Gestapo-Zentrale an der Wilhelmstraße in Kreuzberg zutage traten, also auf dem Gelände der heutigen Topographie des Terrors. Wie Ausstellungskurator Heino Neumayer erklärt, habe es 1988 einiger Anstrengungen bedurft, das sogenannte Prinz-Albrecht-Gelände unter Denkmalschutz zu stellen und damit auch die im Boden befindlichen Reste vor fremdem Zugriff zu bewahren. Alle Stücke sind stark restaurierungsbedürftig, einige werden in der Ausstellung in dem Zustand gezeigt, wie sie den Archäologen in die Hände gefallen sind.

Das gilt auch für Funde aus dem so genannten Fahrerbunker auf dem Gelände der früheren Ministergärten unweit der Koch- und Wilhelmstraße, nur ein paar Schritte vom heutigen Denkmal für die ermordeten Juden Europas entfernt. Einige der von der SS-Fahrbereitschaft zurückgelassenen Waffen, Essgeschirre, Uniformteile oder auch Schnapsflaschen werden jetzt in der Ausstellung als Dokumente für die Zustände in den letzten Kriegstagen vor nunmehr 60 Jahren präsentiert. Dazu kommen Fotos von Wandmalereien mit verlogenen Darstellungen germanischer Heldenfiguren, mit denen sich Angehörige der „Leibstandarte Adolf Hitler“ selber Mut machten. Der Schutzraum gleich bei Hitlers Reichskanzlei wurde 1992 von Denkmalpflegern vermessen und dokumentiert, dann aber wieder verschlossen und so vor Andenkensammlern oder Neonazis bewahrt. Landeskonservator Jörg Haspel kann sich vorstellen, dass der Fahrerbunker, der bisher noch nicht unter Denkmalschutz steht, irgendwann einmal geöffnet und als einzigartiger und authentischer Ort für den apokalyptischen Untergang der NS-Herrschaft der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, selbstverständlich nur in Begleitung von Historikern und Denkmalpflegern.

Die Ausstellung im Langhansbau gleich neben dem Schloss Charlottenburg zeigt ferner Relikte aus einem in Lichterfelde angelegten Außenlager des KZ Sachsenhausen, auf das die Archäologen durch einen Steglitzer Bürger hingewiesen wurden. Zu den interessantesten Fundstücken gehörte eine verwitterte Lagerakte, die in der Staatsbibliothek restauriert wurde und Auskunft über bisher unbekannte Außenkommandos gibt, in denen KZ-Häftlinge unter menschenunwürdigen Umständen schuften mussten. In einer anderen Vitrine liegen durch Feuer beschädigte und verformte Geschirre und Essbestecke, die bei Enttrümmerungsarbeiten im zugeschütteten Keller der traditionsreichen Sektkellerei Lutter und Wegener an der Ecke Charlotten- und Französische Straße unweit des Gendarmenmarkts entdeckt wurden.

Im abschließenden Teil setzt sich die Schau mit einem offenen Kapitel der Geschichte des Museums für Vor- und Frühgeschichte auseinander - den eigenen Verlusten durch Kriegszerstörung und Abtransport kostbarer Exponate in die damalige Sowjetunion. Dazu erklärte Museumsdirektor Wilfried Menghin, dass es zwischen Deutschland und Russland in der heiklen Frage der Rückgabe „Bewegung“ gebe. Im Moment werde von russischen Museologen erkundet, wo welche Stücke verwahrt werden. Was sich daraus ergibt, werde man sehen. Die Ausstellung „Archäologie des Grauens“ ist Dienstag bis Freitag von 19 – 17 Uhr, am Wochenende von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Helmut Caspar

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