Hugenotten waren nicht überall willkommen
Ausstellung in Berlin über Migranten aus Frankreich und das Zuwanderungsland Deutschland



Das Hugenottenkreuz, hier als Zierde eines Hauses im Holländischen Viertel in Potsdam, ist einem Orden nachempfunden, den die Könige von Frankreich trugen und verliehen. Die Taube an dem hugenottischen Erkennungs- und Bekenntniszeichen symbolisiert den Heiligen Geist.



Ein in der Nähe der Friedrichstraße in Berlin-Mitte aufgestellter Pelikan aus Bronze symbolisiert die Hingabe der Hugenotten an ihre Armen und Kranken. Das Hospital in dem früher von Franzosen bewohnten Viertel existiert nicht mehr. (Fotos: Caspar)

Die Behauptung, dass die französischen Hugenotten, die auf Grund des 1685 vom brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm erlassenen Edikts von Potsdam nach Berlin und in die Mark Brandenburg kamen, von den Einheimischen mit offenen Armen aufgenommen wurden, stimmt nicht. Untersuchungen zeigen, dass das durch Historienbilder, Skulpturen und Erzählungen seit dem 18. Jahrhundert vermittelte Bild von herzlicher Eintracht trügt. Viele Legenden über den freundlichen Empfang der Hugenotten stammen von diesen selbst und schönen die Tatsachen. Denn viele Glaubensflüchtlinge brauchten Jahre und Jahrzehnte, bis sie in ihrer neuen Heimat Fuß fassten. Nur wenigen Auserwählten gelang der Sprung nach oben, und aus diesen Kreisen rekrutierten sich die Maler, Grafiker und Schriftsteller, die die dann doch nicht so einfache und vielfach auch enttäuschende Aufnahme ihrer Vorfahren in der Fremde mit schönen Legenden versahen.

Einzelheiten über die Beweggründe der Glaubensflüchtlinge, sich unter den Schutz des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seiner Nachfolger auf dem preußischen Thron beziehungsweise sich in andere Fürstentümer zu begeben, vermittelt eine neue, bis 12. Februar 2006 laufende Ausstellung im Pei-Bau des Deutschen Historischen Museums (DHM) Berlin. Die Schau „Die Hugenotten“ bildet den ersten Teil einer umfangreichen Dokumentation mit dem gemeinsamen Obertitel „Zuwanderungsland Deutschland“. Der andere, ebenfalls im Pei-Bau gezeigte Abschnitt zeigt, dass Migration kein Phänomen unserer Tage ist, sondern aus unterschiedlichsten Gründen in der frühen Neuzeit vorkommt.

Die Vertreibung aus religiösen Gründen, die Zerstörung ganzer Landstriche durch Kriege, die Hoffnung, anderswo eine neue Existenz aufbauen zu können und weitere Motive spielten eine Rolle, dass sich Familien oder einzelne Personen entschlossen, ihre Heimat aufzugeben und ein ungewisses Schicksal in Kauf zu nehmen. Mit der Ausstellung will das DHM nach Worten seines Generaldirektors Hans Ottomeyer verdeutlichen, dass die Zuwanderung nach Deutschland eine lange und in vielen Aspekten noch viel zu wenig bekannte Geschichte hat. Um sie besser bekannt zu machen, bietet das Museum neben der Präsentation von mehreren hundert hochkarätigen Exponaten wie Gemälde, Skulpturen, Stiche, Bücher, Handschriften, Urkunden, Textilien und Alltagsgegenstände auch ein umfangreiches Rahmenprogramm für Schulklassen und Gruppen mit Migrationshintergrund an, dessen Themen und Termine im Internet unter www.dhm.de eingesehen werden kann.

Erfolgreiche Ansiedlungspolitik
Menschen bilden den größten Reichtum eines Landes – diese Maxime war Motor der umfangreichen und erfolgreichen Ansiedlungspolitik, die die Hohenzollern nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) betrieben. Da das durch den bis dahin mörderischsten Krieg aller Zeiten stark geschwächte Kurbrandenburg zu den am dünnsten besiedelten Gebieten im römisch-deutschen Reich gehörte, richtete der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm sein Augenmerk vor allem auf gut ausgebildete und vermögende Fremde. Er nahm zunächst unter dem Einfluss seiner aus den Niederlanden stammenden Gemahlin Luise Henriette von Oranien zahlreiche Niederländer auf, lud aber auch französische Hugenotten ein, sich in seinem Machtbereich anzusiedeln. Das berühmte „Edikt von Potsdam“, dessen Entstehen und Wirkung in der Ausstellung anhand von historischen Drucken, Stichen und Erzählungen ausführlich geschildert wird, versprach den vom französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. vertriebenen Hugenotten sicheren und freien Zutritt. Dieses geschah nicht nur, weil man sich aus religiösen Gründen der bedrängten Glaubensbrüder und –schwestern annahm, sondern auch wegen ökonomischer Vorteile. Die erfolgreiche Ansiedlungspolitik wurde bis ins 18. Jahrhundert hinein fortgeführt. Sogar Friedrich II. ließ Mitte des 18. Jahrhunderts Handwerker und Landwirte aus Böhmen und anderen von den katholischen Habsburgern beherrschten Ländern anwerben und stattete sie mit vielfältigen Privilegien aus in der Hoffnung, mit ihrer Hilfe Bevölkerungsverluste und wirtschaftliche Folgen seiner vielen Kriege ausgleichen zu können.

Flucht vor dem Sonnenkönig
Dank der Einwanderungspolitik des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und seines Sohns Friedrich III./I. kamen vor 300 Jahren bis zu 20 000 Franzosen nach Berlin und in andere Städte der Kurmark. Ein französischer Diplomat berichtete, er habe Berlin „angefüllt mit Franzosen“ gefunden. „Sie flüchteten in Massen hierher, angezogen von der günstigen Aufnahme, die der Kurfürst den ersten bereitet hatte... Jeden Tag sah man hier Kaufleute, Handwerker und Edelleute in Mengen eintreffen.“ Die Reformierten hatten ihr Land verlassen müssen, weil sie nicht bereit waren, in den Schoß der katholischen Kirche zurückzukehren, worauf sie schrecklichen Drangsalierungen durch Soldaten des „Sonnenkönigs“ ausgesetzt waren, ein Thema, das in der Hugenottenausstellung nach allen Seiten hin beleuchtet wird. Größter Auftraggeber der weitgehend autonom in „Kolonien“ lebenden französischen Kaufleute, Manufakturbesitzer, Soldaten, Künstler, Gelehrten sowie Lehrer, Musiker und Dienstboten waren der kurfürstliche, ab 1701 königliche Hof und die Armee. In Berlin, dem wichtigsten Siedlungszentrum der Hugenotten, gab es Arbeit und Brot, hier wurden ihnen zu günstigen Bedingungen Grundstücke und Materialien für den Hausbau und die Einrichtung von Manufakturen zur Verfügung gestellt, was natürlich die Alteingesessenen wenig erfreute, die nicht in den Genuss solcher Vergünstigungen kamen. Um 1700 machte die französische Kolonie bereits ein Fünftel der Berliner Einwohnerschaft aus. Sie besaß eine eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit, dazu Kirchen, Schulen und Hospitäler. Bedürftigen Landsleuten, die man auch „verschämte Arme“ nannte, wurden durch eigene, selbst noch im 20. Jahrhundert tätige Sozialsysteme über Wasser gehalten.

Bevorzugte Wohnorte der Refugiés waren die kurfürstlichen Neugründungen Dorotheenstadt und Friedrichstadt sowie wegen der kurzen Wege auch die Gegend um das Stadtschloss. Direkten Zugang zur Herrscherfamilie hatten hugenottische Beamte und Militärs sowie Diplomaten, Lehrer, Erzieher, Künstler und Gelehrte. Sie prägten als Erzieher und Berater das Leben und die Weltsicht der Spitzen des Staates bis ins 19. Jahrhundert hinein, und sie finden sich denn auch in der Ausstellung auf zahlreichen Porträts und Historiendarstellungen wieder.

Neben dem, was die Franzosen und all die anderen Glaubensflüchtlinge an materiellen Gütern mitbrachten, waren ihre technischen und künstlerischen Fähigkeiten, Kenntnisse und Fertigkeiten für die Entwicklung Brandenburg-Preußens von unschätzbarem Wert. Viele Gewerke wurden erst von ihnen eingeführt. So bietet die Ausstellung eine bunte Palette von Luxusgütern wie Gobelins, Silbergefäße und Waffen, die aus hugenottischen Manufakturen stammen. In den vom Staat finanziell durch garantierte Abnahmequoten geförderten Unternehmen perfektionierte man das Weben und Färben von Textilien, das Wirken von Strümpfen und die Verarbeitung von Gold- und Silberfäden für Borten und Tressen, die unter anderem auch für die Armee bedeutsam waren. Wer auf sich hielt, ließ bei französischen Perückenmachern arbeiten und gab seine Kinder in die Obhut französischer Gouvernanten und Lehrer. Auch dafür bietet die Ausstellung Beispiele. Selbstverständlich wurde auch die französische Küche an der Spree heimisch. Die wenig verwöhnten Märker fanden ziemlich schnell Gefallen an unbekanntem Gemüse wie Spargel und Blumenkohl und ließen sich auch neue Obstsorten munden.

Neid und Missgunst
Nicht zu übersehen ist, dass die Fremden bei den Einheimischen nicht gerade mit offenen Armen empfangen wurden, von der preußischen Oberschicht abgesehen. Man hatte auf beiden Seiten Anpassungsprobleme und sah einander als Konkurrenten an. Neid und Missgunst bestimmten das Verhältnis, denn den Neuankömmlingen wurden Vorteile gewährt, die den Berlinern und Brandenburgern vorenthalten wurden. Dazu gehörten eine mehrjährige Steuerbefreiung und das Zugeständnis, dass die Hugenotten keine Soldaten bei sich aufnehmen müssen, denn Kasernen gab es damals noch nicht. Da die fremden Manufakturisten in vieler Hinsicht innovativer waren und schneller mit der Mode gingen als die Einheimischen, kamen zwischen den Konkurrenten Reibereien bis zu handgreiflichen Auseinandersetzungen vor. Schließlich gab es in Glaubensdingen zwischen den Lutherischen und den Reformierten Differenzen, und es soll sogar vorgekommen sein, dass von der Kanzel gegen die Refugiés gewettert wurde, und das obwohl von „oben“ Toleranz in Glaubensfragen verordnet war. Solche Zwistigkeiten, die bei Leuten, welche auf engem Raum miteinander leben und arbeiten nicht ausbleiben, kamen natürlich dem Hof zu Ohren. Die Hohenzollern versuchten, mit einer Flut von Edikten die Wogen zu glätten, und wo das nicht fruchtete, wurden gelegentlich Soldaten losgeschickt, um Tumulte aufzulösen.

Ungeachtet der vielen Anpassungsschwierigkeiten profitierten die Berliner und Märker von den Neuankömmlingen. Sie übernahmen mit der Zeit nicht nur deren technisches Know-how, sondern auch deren Umgangsformen und Elemente ihrer Sprache. In besseren Kreisen einschließlich der Herrscherfamilie parlierte man französisch, und das gemeine Volk integrierte aufschnappte Ausdrücke, so dass die Umgangssprache ein kurioses Gemisch von Berliner Mundart und französelnden Ausdrücken wurde. Da die Franzosen in nach außen abgeschlossenen Kolonien lebten, sahen viele von ihnen nicht die Notwendigkeit, die deutsche Sprache zu lernen, ein Phänomen, das auch heute bei manchen, vor allem älteren Migranten zu beobachten ist. Weitsichtige Leute indes sahen schon damals in der Pflege der Zweisprachigkeit ein Mittel, sich im Alltag und am Arbeitsplatz zu behaupten.

Die zweigeteilte Ausstellung „Zuwanderungsland Deutschland“ läuft bis zum 12. Februar 2006 und ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 2 Euro. Die Kataloge „Migrationen 1500-2005“ und „Hugenotten“ erschienen in der Edition Minerva Wolfratshausen und kosten im Museum 22 bzw. 25 Euro, als Paket zusammen 42 Euro.

Helmut Caspar

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