Handel mit geraubten Antiquitäten blüht
Unesco-Delegation registrierte in irakischen Museen und Grabungsstätten dramatische Schäden


Offiziell ist der Krieg im Irak zwar beendet, die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen amerikanischen Soldaten und einheimischen Guerillas gehen jedoch weiter und fordern auf beiden Seiten viele Menschenleben. Die von der irakischen Bevölkerung erhofften Erleichterungen nach dem Sturz des Saddam-Regimes lassen auf sich warten. Wasser-, Lebensmittel-, Strom- und Treibstoffmangel macht ihnen zu schaffen. Skrupellose Banden nutzen derweil alte Netzwerke zum Verkauf von Museumsstücken, die offenbar gezielt und mit Kennerschaft in den unsicheren Tagen nach der Eroberung von Bagdad und anderen Städten durch amerikanische und britische Truppen gestohlen wurden. Der internationalen Öffentlichkeit wird suggeriert, die Schäden seien doch nicht so groß wie angenommen, das meiste sei zurück gegeben worden, einiges lasse sich restaurieren, und die wirklichen Kostbarkeiten befänden sich weiterhin in sicheren Depots.

„Medien, die es hätten besser wissen müssen, halfen, die Verluste klein zu reden. Sie sind in der Tat dramatisch“, sagte der Direktor des Berliner Museums für Islamische Kunst, Claus-Peter Haase, kürzlich am Beginn eines Vortrags seiner Kollegin Margarete van Ess über den aktuellen Zustand von irakischen Museen und Grabungsstätten. Die Archäologin war vor wenigen Tagen mit einer Unesco-Delegation im Land zwischen Euphrat und Tigris unterwegs und brachte erschreckende Erkenntnisse über die zum Teil irreparablen Schäden an Häusern, Grabungsstätten und Sammlungen zurück.

Haase zufolge sind die vandalischen Anschläge auf „offizielle“ Gebäude wie Museen, Bibliotheken und Archive sowohl als Protest gegen das alte Regime werten, das mit der Pflege des nationalen Erbes Punkte zu sammeln suchte, als auch gegen die neuen Besatzer. Sie hätten sich als unfähig und anfangs auch unwillig erwiesen, Krankenhäuser und Kultureinrichtungen zu schützen. Dass unter Hügeln, Landebahnen und Autopisten 6000 Jahre Menschheitsgeschichte vergraben ist, hat sich bei den Amerikanern noch nicht herumgesprochen. Erst jetzt, wo schon so vieles zerstört ist, gibt es Befehle zur Bewachung von Ausgrabungsstätten, allerdings auch nicht von allen. Ob sie fruchten, weiß keiner.

Margarete van Ess, Mitarbeiterin der in Berlin ansässigen Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts, beschrieb nach dieser Standortbestimmung in ihrem Vortrag das Dilemma ihrer irakischen Kollegen. Sie hätten ihr Möglichstes geleistet, um Schaden von den Sammlungen und Grabungsstätten abzuwenden. Im Moment aber hätten auch sie allergrößte Mühe, sich und ihre Familien einigermaßen über Wasser zu halten. Einige Sammlungen wie das Bagdader Nationalmuseum seien bereits aufgeräumt, doch da Fenster und Türen zerschlagen sind, könnten Ausstellungen noch nicht gezeigt werden. Tatsächlich seien die „Hauptstücke“ der Sammlung gerettet, die berühmte Vase von Warka und einige Götterbilder und Tierfiguren seien zerschlagen worden und müssten restauriert werden. Die Berliner Museen und andere deutsche Sammlungen haben dem Irak fachliche Hilfe angeboten; als Koordinator fungiert das Britische Museum.

Van Ess zufolge blüht der Schacher mit Beutestücken. „An jeder Straßenecke“ könne man, wenn man wolle, dergleichen kaufen. „Der internationale Kunsthandel stockt, natürlich inoffiziell, seine Lager durch Mittelsleute auf und nutzt dabei gesetzesfreie Räume. Käufer sind ausländische Museen, die großen Sammlungen ausgenommen, und Privatleute, die nicht danach fragen, woher die Schrifttafeln, Siegelrollen und anderen archäologischen Objekte stammen“. Unbeaufsichtigte Grabungsstätten bilden das Reservoir für den ausgedehnten Antiquitätenschmuggel, und das schon seit Jahren. Die Mitglieder der Unesco-Delegation überraschten Grabräuber am helllichten Tag. Sie verschwanden in den metertiefen Löchern, um nach dem Weggang der Ausländer ungeniert weiter zu wühlen. Für Margarete van Ess, die in ihrem Vortrag entsprechende Bilder zeigte, steht fest, dass nur die Aufnahme regulärer Grabungen die weitere Zerstörung der Bodenurkunden aufhalten können. „Wir sind bereit, sofort in den Irak zurückzukehren und nach Herstellung entsprechender Arbeitsbedingungen dort weiterzumachen, wo uns der Krieg unterbrochen hat“.

Helmut Caspar

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