Zeitkapseln der Vergangenheit -
Ergebnisse der Unterwasserarchäologie in der Nord- und Ostsee dokumentiert


Im Wismarer Hafen wird nach Angaben der Unterwasserarchäologen eine 1999 im Hafen von Timmendorf auf der Insel Poel gefundene Kogge nachgebaut. (Foto aus dem besprochenen Band).

Meere, Flüsse und Seen bilden ein unerschöpfliches Reservoir von menschlichen Hinterlassenschaften. Riesig ist die Zahl untergegangener Schiffe, kaum abzuschätzen sind auch die Siedlungen, die das Wasser bei Überschwemmungen und Umweltkatastrophen unter sich begraben hat. Ab und zu lassen Meldungen von Schatzschiffen aufhorchen, aber sie bilden die Ausnahme, wie aus dem neuen Buch „Tauchgang in die Vergangenheit – Unterwasserarchäologie in Nord- und Ostsee“ hervorgeht. Der Sonderband der Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“ macht mit dem Alltag der Unterwasserarchäologen bekannt, schildert ihre Arbeitsmethoden, macht mit rechtlichen Fragen im Umgang mit den Fundstücken bekannt. Es zeigt, was die im Meer geborgenen, zum Teil noch recht gut erhaltenen Fahrzeuge über den Schiffbau längst vergangener Zeiten mit seinen raffinierten Konstruktionen uns zu erzählen haben und wie man die im Schlick und Schlamm liegenden Holzteile zum Ausgangspunkt für Nachbauten nehmen kann. Das Spektrum der in dem Buch aus Platzgründen nur in einer Auswahl beschriebenen Funde und Fundstellen reicht von untergegangene Siedlungen an den Küsten der Nord- und Ostsee sowie auf einigen Inseln bis zu geborgenen Wracks von Wikingerschiffen und mittelalterlichen Kaufmannskoggen, die für die Fachleute so etwas wie Zeitkapseln der Vergangenheit sind. Als historische Quellen besitzen sie große Bedeutung, finden sich in ihnen doch mehr oder weniger vollständig erhaltene Überreste von Besatzungsmitgliedern samt Bekleidung, aber auch Waffen, Gegenstände des täglichen Bedarfs, ja ganze Ladungen, die von weitreichenden Handelsverbindungen, manchmal auch von kriegerischen Ereignissen zeugen.

Friedrich Lüth, Landeskonservator am Archäologischen Landesmuseum und Landesamt für Bodendenkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern und einer der Mitherausgeber dieser interessanten Publikation, lobt die Qualitäten des Wassers als Konservierungsstoff. Denn während viele Spuren menschlichen Lebens an Land aufgrund der Bodenverhältnisse oder weil das Erdreich oftmals durchpflügt und durchgewühlt wurde, längst vergangen sind, haben sich im Wasser große Mengen archäologisch interessanter Objekte erhalten. Allerdings sind diese Quellen überaus empfindlich, und ihre Bergung ist oft nur mit großem technischem und finanziellem Aufwand zu bewerkstelligen. Und werden sie aus ihrem konservierenden Milieu entnommen, müssen sie umständlicher behandelt werden als Gegenstände, die aus der Erde ans Tageslicht geholt wurden.

Manche im Wasser entdeckten Objekte werden an Land geholt, viele bleiben aber dort. Im Falle einer vor der Halbinsel Darß entdeckten Kogge entschlossen sich die Archäologen, das vom Schiffsbohrwurm befallene Schiff unter Wasser zu dokumentieren und nicht zu heben. Der Fund unterstreicht die Internationalität des mittelalterlichen Seehandels, denn die Kogge wurde in Polen gebaut und hatte Güter aus ganz Nord- und Westeuropa an Bord – Schwefel aus Island, den man zur Desinfektion von Wein- und Bierfässern brauchte, oder auch Geweihe, Trockenfisch und Wetzsteine aus Norwegen. Somit ist dieses Schiff eine Art Mikrokosmos, das auf seine Weise nach internationaler Kooperation bei der wissenschaftlichen Analyse, aber auch bei der Sicherung und Erhaltung des gemeinsamen europäischen Kulturraums ruft.

Das Buch hält ein Plädoyer für den Schutz des submarinen Kulturerbes in Europa, so die Überschrift des Schlusskapitels. Diese Hinterlassenschaften finden sich in allen Teilen der Weltmeere. „Schiffsunglücke, Stürme und Unwetter, Verluste durch Eisgang, Mann über Bord, Ladung, die auf See gelöscht wird und schließlich Krieg sind Stichworte, bei denen sofort viele – auch spektakuläre – Ereignisse ins Bewusstsein gerufen werden...Vieles ist wiederzufinden, vieles wurde im Laufe der Zeit zu Kulturerbe. An seiner Erhaltung und Erforschung als einzigartiger Geschichtsquelle besteht ein öffentliches Interesse, das weit über die Grenzen einzelner Staaten hinausgeht“.

Welche Dimensionen dieses zum größten Teil noch unerforschte Erbe hat, mögen in dem Ausblick mitgeteilte Zahlen verdeutlichen. In den dänischen Gewässern liegen schätzungsweise 20 000 bis 30 000 Schiffswracks, in den Hoheitsgewässern vor Mecklenburg-Vorpommern wurden allein in den vergangenen zehn Jahren mehr als 2000 so genannte Untergangspositionen bekannt. Hinzu kommen die erst seit kurzem systematisch gesuchten steinzeitlichen Siedlungen und sonstigen submarinen Strukturen wie frühe Hafen- und Wasserbauten. Für die Unterwasserarchäologen tut sich hier ein breites Betätigungsfeld auf, und vielleicht kommt bei den Untersuchungen tatsächlich auch der eine oder andere Schatz ans Tageslicht. Dieser Glücksfall trat 1977 ein, als beim dänischen Vejby eine im Raum um Danzig-Elbing gebaute Kogge geborgen wurde. Auf der Rückkehr von einer Handelsfahrt in das westliche Europa war sie gekentert. Die Ausgräber fanden in dem um 1377 gesunkenen Schiff 109 englische Nobles aus Gold und andere Gegenstände.

Das spannend zu lesende Buch „Tauchgang in die Vergangenheit“ erschien im Konrad Theiss Verlag Stuttgart, hat 112 Seiten sowie rund 120 farbige Abbildungen und kostet 24,90 Euro (ISBN 3-8062-1671-1).

Helmut Caspar

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