„Oft bleibt nur noch Trauerarbeit“ -
Dokumentation über gefährdetes und zerstörtes Kulturerbe stimmt wenig hoffnungsfroh

Kriege, Brände, Erdbeben, riesige Meereswellen haben in den vergangenen Jahren dem baulichen und archäologischen Erbe überall auf der Welt schrecklich zugesetzt. Zu den beklagenswerten Verlusten an Menschen kommen solche bei Kulturgütern, die nur in seltenen Fällen und mit großem Aufwand wiederhergestellt werden können. Unübersehbar ist das, was Menschen aus ideologischen oder kommerziellen Gründen, aus Gleichgültigkeit und vermeintlichem Streben nach Modernität täglich den natürlichen und gebauten Zeugnissen der Geschichte und Kultur antun. Etwa als in Afghanistan die riesigen Götterstatuen von Bamian gesprengt wurden, weil sie nicht ins Weltbild der Taliban passten, wenn Bulldozer in Peru spiralförmige Steinsetzungen aus der Frühzeit der Menschen umwerfen, weil Platz für Gewerbebauten gebraucht wird, oder wenn in Moskau Bauten der Moderne aus der frühen Sowjetzeit absichtlich dem Verfall preisgegeben und abgerissen werden, um die gewonnenen Flächen profitabel vermarkten zu können. „Oft bleibt uns nur noch übrig, die Verluste festzustellen und Trauerarbeit zu leisten“, sagte gestern der Präsident der Internationalen Denkmalschutz-Organisation ICOMOS, Michael Petzet, in Berlin bei der Vorstellung des neuen Weltreports „Heritage at Risk 2004/05“. Das von der UNESCO herausgegebene und im K. G. Saur Verlag München erschienene Buch (268 S., zahlr. Abb., 78 Euro, ISBN 3-598-24243-3) listet besonders krasse Fälle von aktueller Denkmalzerstörung in etwa 50 Ländern auf. Einen Schwerpunkt bilden der von Kriegen heimgesuchte Nahe Osten und Mittelasien, aber auch Asien, wo verschiedene Länder von Naturkatastrophen heimgesucht wurden. Der Umschlag des Buches stellt die berühmten, in mühseliger Kleinarbeit durch Spezialisten von ICOMOS restaurierten Lehmbauten im iranischem Bam dem gegenüber, was nach einem verheerenden Erdbeben übrig gelassen wurde. Auch andere Vorher-Nachher-Bilder zeigen, was Naturgewalten und Menschenhand heute, jeden Tag anrichten und welche Mühen es kostet, das eine oder andere Objekt zu retten.

Die Buchpräsentation in der Rotunde des vor 175 Jahre eröffneten Alten Museums auf der Museumsinsel war mit Bedacht auf den 18. April, den Internationalen Denkmaltag, gelegt. Von UNESCO vor vielen Jahren ausgerufen und ein wenig in Vergessenheit geraten, weil es Anfang September den Tag des offenen Denkmals gibt, wird jeweils am 18. April an die Pflicht der Regierungen und der Völker erinnert, sorgsam mit den materiellen Hinterlassenschaften der Menschheit umzugehen und sie nicht, wie Petzet an Beispielen aus Italien, Spanien, Österreich und leider auch aus Deutschland darlegte, auf dem Altar der Ökonomie und dem Drang zu opfern, historische Städte dem 21. Jahrhundert anpassen zu wollen. Der Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar sei ein Signal, überall die Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen, damit nicht noch einmal eine solche Katastrophe passiert. In Köln bestehe die Gefahr, dass zu einem bereits gebauten Hochhaus jenseits des Rheins weitere bis zu 40 Meter hohe Gebäude die Innenstadt verschandeln, gegen die die berühmten romanischen Kirchen ganz klein wirken werden. Petzet sprach gestern die Hoffnung aus, dass aus diesem Plan nichts wird und verwies auf weitere Beispiele für sorglosen Umgang mit baulichen Schätzen sogar in Städten, die auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes stehen. So habe man in Lübeck ein großes Warenhaus dem mittelalterlichen Rathaus gegenübergestellt und damit das historische Flair entschieden gestört. Und in München sei ein Hochhaus in der Achse der Ludwigstraße gebaut worden, bei dem erst hinterher erkannt wurde, wie sehr es die Proportionen in der Innenstadt stört. Für den Mittelrhein sei eine Brücke am Loreleyfelsen geplant, „die verheerende Wirkungen auf die Kulturlandschaft“ haben wird, wenn sie denn gebaut wird.

Michael Petzet empfiehlt Bauherren, Architekten, Stadtverwaltungen und Regierungen den Weltreport über das gefährdete Kulturerbe zur Pflichtlektüre, „damit solche Verschandlung gar nicht erst ausgedacht wird“. Als Chef von ICOMOS und ehemaliger bayerischer Landeskonservator weiß er, dass geduldige Überzeugungsarbeit manchmal helfen kann. So habe man in der Weltkulturerbestadt Bamberg aufgrund von Protesten aus der Bevölkerung und von Seiten der Denkmalschützer eine Einkaufspassage so umgestaltet, dass sie keine Gefahr für das Bild der Altstadt mehr bedeutet. Auch in Wien sei man aus Furcht von negativen Wirkungen auf den Tourismus davon abgekommen, vier bis sechs Wolkenkratzer rund um den Stephansdom aufzurichten.

Helmut Caspar

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