Mythos Stalingrad
Museum in Karlshorst dokumentiert Ende der 6. Armee im deutschen und russischen Gedächtnis

Die Kapitulation der 6. Armee der deutschen Wehrmacht Anfang Februar 1943 bei Hunger und eisiger Kälte im Kessel von Stalingrad wurde vor über 60 Jahren von der Nazipropaganda in einen Opfertod von geschichtlicher Dimension, in ein schauriges Heldenepos umgemünzt. Der „Völkische Beobachter“, das Zentralorgan der NSDAP, stellte die Meldung des Oberkommandos der Wehrmacht vom Ende der 6. Armee unter die Überschrift „Sie starben, damit Deutschland lebe“ und erinnerte an griechische Tragödien, verschwieg aber die eigentlichen Gründe für dieses Fiasko. Das Wort Kapitulation war verboten, Trauermusik wurde nicht gesendet, schwarze Ränder in den Zeitungen nicht zugelassen. Den Medien wurde eingehämmert, das Ereignis als Beispiel höchster heldischer Haltung zu würdigen, von dem man noch in Jahrhunderten sprechen wird. „Heute haben die Zeitungen den Griffel zur Weltgeschichte zu führen und Stalingrad zum Mythos zu machen, der allen kommenden Generationen unseres Volkes Kraft geben und Verpflichtung sein wird“.

Stalingrad wurde nicht zum Symbol für den kommenden deutschen Sieg, sondern war der Anfang vom Ende Hitlerdeutschlands zwei Jahre später. Wie eine neue, bis 19. Februar 2004 laufende Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum Berlin-Karlshorst berichtet, dem Ort der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945, wurde der aus politischen Gründen erbittert geführte Kampf um die „Stadt Stalins“ nicht nur unzähligen deutschen Soldaten zum Verhängnis, weil ihr Oberbefehlshaber Adolf Hitler aus Prestigegründen und gegen den Rat seiner Generalität jeden Rückzug und Ausbruch verbot. Auf der anderen Seite kosteten Belagerung und Einnahme der Stadt an der Wolga (bis 1925 Zarizyn) einer halben Million Soldaten der Roten Armee und einer unbekannten Zahl von Zivilisten das Leben. Stalin brauchte den Sieg, denn er wollte nach einer Reihe von blutigen Niederlagen seinem Volk und den Verbündeten endlich einen spektakulären Erfolg vorweisen. Natürlich hat die sowjetische Propaganda Stalin persönlich den Sieg zugeschrieben, doch bei allen Lobeshymnen blieb in sowjetischen Romanen und Filmen, in geschichtlichen Darstellungen und der Memoirenliteratur sowie in der bildenden Kunst, ausgespart, so unterstreicht die Ausstellung, welchen militärischen Sinn das Ringen um Stalingrad eigentlich hatte und mit welchen Opfern die Rote Armee ihren Erfolg errungen hat.

Die Ausstellung zeigt anhand von Erinnerungen, Plakaten, Gemälden, Skulpturen, Denkmälern und Auszügen aus Zeitungen und Zeitschriften, wie in der früheren Sowjetunion sowie in West- und Ostdeutschland das Thema Stalingrad instrumentalisiert und vermarktet wurde. Und es wird auch gezeigt, wie vor allem in der DDR während der Ulbricht-Zeit ehemalige Offiziere und Soldaten der Hitler-Wehrmacht aufgeboten wurden, für die Stalingrad das Fanal zur „Umkehr“ war, um Front gegen Westdeutschland, den verhassten Feind, zu machen. Dass Stalingrad nicht vergessen ist, unterstreichen viele aktuelle Fernsehsendungen und Publikationen, von denen die Ausstellung einige Proben zeigt. Darüber hinaus zeigt die Schau, dass im heutigen Russland manche Menschen dem Namen Stalingrad nachtrauern und verlangen, der in der Ära nach Stalin in Wolgograd umbenannte Stadt ihren symbolträchtigen Namen zurückzugeben.

Das Deutsch-Russische Museum Berlin-Karlshorst, Zwieseler Straße 4, 10318 Berlin, ist Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt frei. Informationen unter 030/50150810 und im Internet unter www.museum-karlshorst.de.

Helmut Caspar

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