Tonscherben in kaiserlicher Gunst -
Das 175 Jahre alte Museum für Vor- und Frühgeschichte setzt sich mit opulenter Festschrift ein ansehnliches Denkmal



Tafel aus einem „Merkbuch, Alterthümer aufzugraben und aufzubewahren“, das 1894 von Albert Voß, dem Direktor der Vorgeschichtlichen Abteilung des Königlichen Museums für Völkerkunde, herausgegeben wurde. (Repro: Festschrift)

Wäre Kaiser Wilhelm II. nicht durch seine Geburt deutsches Reichsoberhaupt und König von Preußen geworden, hätte er vielleicht ein guter Archäologe, manche sagen auch ein brauchbarer Bildhauer werden können. Denn auf diesen Gebieten lagen die besonderen Interessen des Monarchen, und davon profitierten die von ihm favorisierten Gelehrten und Künstler. Allenfalls ist Insidern bekannt, dass sich Wilhelm II. intensiv um das archäologische Erbe in seinem Reich und im Ausland kümmerte und dafür erhebliche Mittel aus seiner Privatschatulle beisteuerte. Während Minister und hohe Militärs lange auf Audienzen warten mussten, hatte Carl Schuchardt, der Direktor der Vorgeschichtlichen Abteilung des Berliner Museums für Völkerkunde, direkten Zugang zu Seiner Majestät. Der Archäologe hielt ihm stundenlang Vorträge über neue Ausgrabungen und gewann ihn, Ankäufe und Expeditionen zu finanzieren. Der berühmte Eberswalder Goldschatzfund von 1913 etwa wurde vom Kaiser erworben und im Berliner Stadtschloss ausgestellt. Dem wissenschaftsbegeisterten Monarchen taten es andere Mäzene gleich und ließen der vor- und frühgeschichtlichen Forschung und der klassischen Archäologie große Beträge zukommen.

Unter Schuchardt hatte die Vorgeschichtsforschung ihre vorwissenschaftliche Phase hinter sich gelassen, wie der Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin Preußischer Kulturbesitz in der druckfrischen Festschrift zum 175-jährigen Bestehen dieser Sammlung schreibt (Das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Acta Praehistorica et Archaeologica Bd. 36/37, hsg. Staatliche Museen zu Berlin 2004/5, 768 S., 296 Abb., 56 Euro, ISBN 3-88609-907-X). Das Jubiläum ist zwar schon ein Jahr her und bezieht sich auf die Gründung am 16. Januar 1829, als Leopold von Ledebuhr, der neue Vorsteher der Unter-Abteilung für vaterländische Altertümer beim Kunstmuseum seinen Dienst antrat. Doch kommt es noch rechtzeitig, um auch an das 175-jährige Bestehen der Staatlichen Museen zu Berlin zu erinnern, deren Gründungstag am 3. August 1830 war.

Das drei Kilogramm schwere Buch zieht einen Bogen von den eher bescheidenen Anfängen im frühen 19. Jahrhundert, als sich geschichtsbewusste Gelehrte für Hügelgräber, Tonscherben und Metallfibeln begeisterten, bis heute; es stellt die Museumsdirektoren vor, listet bedeutende Funde auf und zeigt, wie die Sammlung, die 1945 fast dem Untergang geweiht war, mit immenser Anstrengung nahezu ihre vormalige Bedeutung wiedererlangt hat. Die Festschrift rekapituliert bedeutende Erwerbungen und Ausstellungen, geht auf Forschungsarbeiten und Publikationen ein, gewährt Einblicke in die Restaurierungswerkstatt und befasst sich mit dem Zusammenwachsen der über beide Stadthälften verteilten Sammlung nach der Wiedervereinigung. Und sie schildert, dass die Hohenzollern ein besonderes Faible für vaterländische Altertümer hatten, für „Bruchstücke aus Thongefäßen und Beigaben an Eisen, Bronze, Knochen u. s. f., auch wenn dieselben durch das Liegen der Funde in der Erde unansehnlich geworden sind“, wie es in einem Fragebogen von 1888 heißt, der bei der Identifizierung und Klassifizierung archäologischer Funde helfen sollte.

In der eingangs erwähnten „Ära Schuchardt“ wurde die Vorgeschichtliche Sammlung im damaligen Völkerkundemuseum neu geordnet. Aus dem „Trödelladen“, wie 1909 ein Kritiker schrieb, entwickelte sich eine nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen strukturierte Sammlung, der allerdings im und nach dem Zweiten Weltkrieg herausragende Stücke abhanden gekommen sind. Bedeutende Sammlungsteile wie der so genannte Schatz des Priamos werden immer noch in Russland zurück gehalten und kehren wohl auch nicht heim. Das Buch widmet sich ausführlich diesen Verlusten und geht dabei auch dem Schicksal der Sammlung trojanischer Altertümer nach, die der Ausgräber Heinrich Schliemann 1881 „dem deutschen Volke zu ewigem Besitze und ungetrennter Aufbewahrung in seiner Hauptstadt“ schenkte. Wie Geraldine Saherwalda schreibt, habe das damit beauftragte Museum für Völkerkunde eine testamentarische Bestimmung Schliemanns ausgehebelt, die Sammlung niemals zu trennen. Durch kaiserlichen Erlass kamen andere Museen und Sammlungen in den Genuss von Dubletten, die in Berlin nicht viel nutzten, woanders aber gute Dienste taten und selbst in Athen Aufsehen erregten. Sonst wären die Verluste gerade in diesem Sammlungsteil noch viel größer.

Helmut Caspar

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