Peinlicher Flop mit Hitlers Tagebüchern
Da die Aufzeichnungen frei erfunden waren, musste die Geschichte auch nicht neu geschrieben werden



Gerd Heidemann präsentierte am 25. April 1983 eines der angeblichen Hitler-Tagebücher. (Foto: Katalog „Bilder, die lügen“)

Unter Blitzlichtgewitter und einem riesigen Medienaufgebot verkündete das Hamburger Nachrichtenmagazin „Stern“ am 28. April 1983, es sei im Besitz von privaten Tagebüchern Adolf Hitlers, deren Abdruck in der neuesten Ausgabe beginne. Die Welt rieb sich die Augen. Hitler und Tagebücher schreiben – unglaublich, einfach sensationell. Man wusste nur von mitgeschriebenen Tischreden im Führerhauptquartier, die nach 1945 veröffentlicht wurden, und von offiziellen Diensttagebüchern. Der „Stern“ behauptete, jetzt müsse die neue deutsche Geschichte umgeschrieben werden, denn der „Führer“ habe auch menschliche Züge gehabt, sei mit Krankheit und Skrupeln geschlagen gewesen, habe Ärger mit seinen Paladinen gehabt und eigentlich auch ein einsamer Mann gewesen. Für Neonazis war der „neue“, geradezu menschliche Hitler ein gefundenes Fressen.

Wie groß war die Blamage, als sich kurz nach dem medialen Paukenschlag zeigte, dass die Aufzeichnungen des Diktators in 63 Heften von A bis Z erfunden waren, zusammengestoppelt aus Biographien und Befehlen, Erlassen, Memoiren und Zeitungsausschnitten oder ganz frei erdichtet. Obwohl sogenannte Experten im In- und Ausland die Echtheit der ihnen nur in Auszügen zur Begutachtung überreichten Kladden bestätigten und in Unkenntnis des Gesamtzusammenhangs keinen Anstoß nahmen an Ungenauigkeiten in den handschriftlichen Texten und auch nichts dabei fanden, dass manche Daten und Namen nicht stimmten (welches Tagebuch irrt nicht!?), wurde fast noch über Nacht der ganze Humbug offenbar. Den Ausschlag gaben Experten vom Bundeskriminalamt mit Schriftvergleichen und Untersuchungen an Tinte, Papier und Heftfaden, die erst nach Hitlers Tod produziert sein konnten.

Als Fälscher wurde schnell der im sächsischen Löbau geborene Zeichner und Karikaturist Konrad Kujau (1938-2000) ausgemacht. An ihn war der beim „Stern“ beschäftigte Journalist Gerd Heidemann heran getreten, als er gehört hatte, Kujau könne aus der damaligen DDR jene geheimen Papiere besorgen. Die kinoreife Story wurde auf unnachahmliche Weise in dem Film „Schtonk“, dramatisiert, in dem unter der Regie von Helmut Dietl Uwe Ochsenknecht den in einem Hinterzimmer mit Tinte und Teebeuteln hantierenden Meisterfälscher und Götz George den ebenso schmierigen wie geld- und mediengeilen Journalisten spielten und das Nachrichtenmagazin bis auf die Knochen blamierten.

Der „Stern“ ließ sich die Beschaffung der geheimen Tagebücher 9,3 Millionen DM kosten. Von diesem Betrag wurde nur ein Teil in der anschließenden polizeilichen Nachforschung sichergestellt. Das viele Geld, das für den in der deutschen Mediengeschichte einmaligen Coup gezahlt wurden, schreckte die Chefetage des „Stern“ offenbar nicht. Hier war man der Meinung, es sei gut angelegt und komme sofort durch weltweite Werbeeffekte, hohe Auflagen, Nachdruckgebühren und Vergabe von Lizenzen herein. In Erwartung großer internationaler Aufmerksamkeit und kommender Profite ließen es die Verantwortlichen, vom Verleger Henri Nannen abwärts, an der gebotenen Skepsis und Sorgfalt mangeln. Man übersah geflissentlich, dass weder Hitler noch Leute aus seiner Umgebung jemals eine Andeutung gemacht haben, der „Führer“ würde ein privates Tagebuch schreiben, das in den Wirren der letzten Kriegstage in die spätere DDR gelangte und nicht einmal deren Sicherheitsdienst bekannt war.

Für den „Stern“ war die Geschichte mit Hitlers Tagebüchern höchst peinlich und geschäftsschädigend, die Konkurrenz jubilierte. Lange hat sich das Blatt, das sich als Bannerträger des seriösen Journalismus gerierte, von der schrecklichen Panne nicht erholt. Konrad Kujau wurde in einem Sensationsprozess zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, kam aber wegen einer Krebserkrankung nach drei Jahren frei. Nach seiner Haftstrafe wurde es ruhiger um den Fälscher, der sich überwiegend der Malerei widmete, in Talkshows schwadronierte und als Hobbykoch glänzte. Mit den Büchern „Geheime Tagebücher“ und „Kulinarisches Geheimarchiv“ machte er auf sich aufmerksam. Echte Bilder von Kujau werden gut bezahlt, während der seinerzeit zu vier Jahren und acht Monaten Freiheitsentzug verurteilte Journalist Gerd Heinemann heute sein Leben mit dem Stigma fristet, unvorstellbar unvorsichtig und leichtgläubig gewesen zu sein und für den wohl größten Medienskandal der Nachkriegszeit gesorgt zu haben.

Helmut Caspar

Mit "Zurück" zur Themenübersicht "Mythen der Geschichte"