Ein langlebiges, aber falsches Zitat:
Marie-Antoinette und der Kuchen

Vor 250 Jahren, am 2. November 1755, wurde Marie-Antoinette als Maria Antonia Josepha von Habsburg-Lothringen in Wien geboren. Sie war die Tochter der oftmals als "Kaiserin" bezeichneten [1] Maria Theresia und spätere Gemahlin des französischen Königs Ludwig XVI.

Im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen als Königin, die in der Geschichte keine bleibenden Spuren hinterließen, ist Marie-Antoinette ein wohlbekannter Name geblieben, nicht zuletzt durch verschiedene Biographien und ihr gewidmete historische Romane.

Marie-Antoinette war wegen ihrer Günstlingswirtschaft, vor allem aber wegen ihrer Verschwendungssucht im Volke sehr unbeliebt. In unzähligen Geschichtsbüchern und Texten über die Französische Revolution wird über sie folgendes berichtet: als die allgemeine Teuerung in Frankreich wegen der Verschwendung bei Hofe so groß wurde, daß sich die Armen kein Brot mehr kaufen konnten, soll sie gesagt haben: "Dann essen sie eben Kuchen!"

Dieser ihr zugeschriebene Satz gehört zu den Mythen der Geschichte. Zumindest stammt er nicht von ihr.

In der Zitatensammlung Wikiquote [2] heißt es dazu, daß der Satz "Wenn sie kein Brot haben, sollen sie doch Kuchen essen" auf Jean Jacques Rousseau zurückgehe.

Dasselbe entnimmt man dem Artikel [3]:
"In an effort to further harm her reputation, the false story was circulated that, upon hearing that the poor of France were unable to purchase even moldy bread, she said »Let them eat cake!«, which quickly became a famous non-quotation. The phrase is in full »S'ils n'ont pas de pain, qu'ils mangent de la brioche« and was invented or quoted by Rousseau some years before Marie Antoinette came to power."

Danach hat Rousseau den Satz mehrere Jahre, bevor Marie-Antoinette zur Macht kam, selbst erfunden, oder er zitierte ihn.

Im Sechsten Buch seiner "Confessions" ("Bekenntnisse") [4] ist ziemlich am Ende zu lesen:
"Enfin je me rappelai le pis-aller d'une grande princesse à qui l'on disait que les paysans n'avaient pas de pain, et qui répondit : Qu'ils mangent de la brioche." Auf deutsch lautet das ungefähr: "Schließlich erinnere ich mich an die Not- (oder Verlegenheits-)lösung einer großen Fürstin, der man sagte, daß die Bauern kein Brot mehr haben, worauf sie antwortete, daß sie Kuchen essen."

Wenn hierbei von einer "großen Fürstin" die Rede ist (und nicht von einer Königin) und man außerdem bedenkt, daß die "Confessions" in den Jahren 1765 bis 1770, also zu einer Zeit erschienen, da Marie-Antoinette gerade nach Frankreich gekommen war (1769), so verstärkt sich der Verdacht, daß der herzlose Ausspruch nicht von ihr stammt und ihr später angehängt wurde, evtl., um ihre Hinrichtung durch die Revolutionäre nachträglich weiter zu motivieren. Manche vermuten, daß Rousseaus Satz sich auf eine Adlige bezog, die, als Marie-Antoinette geboren wurde, in Italien lebte. [5]

Darüber hinaus ist zu bemerken, daß die Beurteilung Marie-Antoinettes als Persönlichkeit insgesamt im Laufe der Zeit stark schwankte. Weder war sie nur eine leichtsinnige, herrschsüchtige, unmoralische Frau, wie dies von ihren Feinden und Anklägern behauptet wurde, noch eine Art Heilige, als die man sie in der Zeit der Bourbonen-Restauration (ab 1815) geradezu verherrlichte. Zu dieser Charakterisierung gelangt Stefan Zweig in der Einleitung seines Buches "Marie-Antoinette", vgl. [6].

(Anm.: Das in den obigen französischen Sätzen vorkommende, im Deutschen unübersetzt bleibende Wort brioche bezeichnet ein kleines, schwach gesüßtes Hefegebäck mit viel Eiern und Butter. Näher beschrieben wird es zum Beispiel hier [7].)

Verwendete Internet-Quellen:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Maria_Theresia
[2] http://de.wikiquote.org/wiki/Marie_Antoinette
[3] http://www.virtualvienna.net/community/modules.php?name=News&file=article&sid=151
[4] http://www.ac-grenoble.fr/lettres/pages/jjr/livres/txt6.htm
[5] http://www.unbekannteswien.at/archiv/04-99/themen/7/textthema.html
[6] http://www.marie--antoinette.de/Leben/Bewertung.htm
[7] http://brioche.adlexikon.de/Brioche.shtml

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