Kein Konsens mit der römischen Kirche -
Deutsche Reichseinigung von 1871 lief nicht ohne heftige Konflikte ab



Bismarck „schachert“ mit dem Papst um Rechte und Pflichten. Karikatur aus dem Kladderadatsch 1875. (Repro: Caspar)

So konfliktfrei und glatt wie es die zeitgenössische Propaganda, Geschichsmythen und Bilder vermuten lassen, verlief die deutsche Reichseinigung von 1871 nicht. Die bisherigen souveränen Fürstentümer und freien Städte begaben sich nicht gerade mit wehenden Fahnen unter die Fittiche des schwarzen Preußenadlers. Zähneknirschend und mit erheblichen Widerständen verzichteten sie auf ihre Rechte. Das Königreich Bayern ließ sich ausdrücklich einige zusichern und bekam sie. König Ludwig II. ließ sich sein Votum für die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser reichlich mit Schmiergeld aus einer „schwarzen Kasse“ des Reichskanzlers von Bismarck honorieren.

Schwierigkeiten gab es bald nach 1871 auf religiösem Gebiet. Der Konflikt spielte sich zwischen der preußisch-protestantisch geprägten kaiserlichen Staatsgewalt und der auf ihre Rechte pochenden katholischen Kirche vor allem in Süddeutschland ab. Dafür prägte der Arzt und Mitbegründer der Deutschen Fortschrittspartei Rudolf Virchow (1821-1902) den Begriff Kulturkampf. Reichskanzler Otto von Bismarck und sein Kultusminister Falck versuchten, unter dem Deckmantel der „Abwehr von staatsfeindlichen Übergriffen einzelner Personen und Parteien innerhalb der katholischen Kirche“ die Kompetenzen und Alleinvertretungsansprüche der römisch-katholischen Kirche auf verschiedenen Gebieten einzuschränken. Damit legte sich die Reichsregierung mit dem Vatikan, der auf diese Rechte pochte, sowie der Geistlichkeit und der katholischen Zentrumspartei an, beschwor aber auch Konflikte mit großen Teilen der katholischen Bevölkerung (zum Beispiel in den ehemaligen polnischen Gebieten) herauf, die sich gegen die preußisch-protestantische Bevormundung zur Wehr setzte. Bismarck erklärte 1872 unter Anspielung auf die Unterwerfung des römisch-deutschen Kaisers Heinrich IV. unter den Willen von Papst Gregor VII. „Nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig“. Der Reichskanzler widmete dem Kulturkampf in seinem Buch „Gedanken und Erinnerungen“ viele Seiten. „Der uralte Kampf zwischen Priestern und Königen wird nicht heut zum Abschluss gelangen, namentlich nicht in Deutschland… Ein ewiger Friede mit der römischen Kurie liegt nach den gegebenen Lebensbedingungen ebenso ausserhalb der Möglichkeit wie ein solcher zwischen Frankreich und dessen Nachbarn.“ Natürlich musste die katholische Kirche klein bei geben, aber was der Staat ihr in Gesetzen, Vereinbarungen und 1933 im Konkordat zwischen der Reichsregierung und Hitlers Führung und dem Vatikan zugestand und darauf basierend auch heute einräumt, ist dennoch recht ansehnlich.

Kulturkämpfe und Kulturrevolutionen ganz anderer, nämlich blutiger Art lieferten sich spätere Diktaturen. Erinnert sei an die Vernichtung großer Teile der deutschen Kultur durch die Nationalsozialisten unter dem Deckmantel ihrer Reinhaltung, den von den Bolschewiki praktizierten Proletkult, mit dem man die bürgerlich-westliche Kultur bekämpfte, oder die Ausrottung traditioneller Lebensart und Denkweise sowie Vernichtung zahlloser Sachzeugen der Geschichte in der chinesischen Kulturrevolution. Ähnliche Aktionen gab und gibt es noch immer in Kambodscha, Afghanistan, im Irak und anderen Ländern. Helmut Caspar BU: Bismarck „schachert“ mit dem Papst um Rechte und Pflichten. Karikatur aus dem Kladderadatsch 1875. Repro: Caspar In den letzten tausend Jahren wurde England nur ein einziges Mal von einer fremden Macht erobert. Das war im Jahr 1066, als Wilhelm, dem Herzog der Normandie, die Landung auf der Insel glückte. Er erhielt daraufhin den Beinamen „der Eroberer“ und regierte als König von England bis 1087. Später haben andere Potentaten ähnliches versucht, sind aber gescheitert. Als der spanische König Philipp II. (reg. 1556-1598) seine berühmte Armada ausschickte, um England zu erobern, endete die Expedition in einem Fiasko. Die spanische Bezeichnung der Kriegsflotte ist vom lateinischen Wort für bewaffnet oder ausrüsten abgeleitet und findet sich auch im Begriff Armee wieder.

Der Herrscher über das katholische Spanien hatte eine besondere Beziehung zu der protestantischen Königin Elisabeth I. von England. Sie hatte ein Heiratsgesuch des Spaniers abgeschlagen, was von diesem als ehrenrührig empfunden wurde. Der Invasionsversuch der spanischen Armada hatte allerdings tiefere Gründe. Philipp II., Sohn und Nachfolger des römisch-deutschen Kaisers und spanischen Königs Karl V., hatte in den unter spanischer Herrschaft stehenden spanischen Niederlande mit Aufständischen zu kämpfen, die von England aus unterstützt wurden. Philipp II. erkannte, dass die niederländischen Rebellen nur dann zu bezwingen waren, wenn er die Verbindung nach England kappte. Gleichzeitig hoffte er, durch die Rekatholisierung des protestantischen England der römischen Kirche einen Dienst tun zu können.

Als Philipp II. seine Armada ausschickte, erhielt man in England Wind davon. Es gelang den Engländern, das Auslaufen der 130 Schiffe mit etwa 30 000 Mann Besatzung aus dem Hafen von Cadiz fast ein Jahr lang zu verhindern. Erst 1588 stach die Armada in See. Ihr stellte sich die englische Flotte entgegen. In drei Schlachten vor Plymouth, Portland Bill und der Insel Wight konnte die zahlenmäßig kleinere, aber sehr wendige und schnelle englische Flotte ihre taktische Überlegenheit unter Beweis stellen. Als die Armada vor Calais in Frankreich ankerte, um Truppen aus den Niederlanden an Bord zu nehmen, ließ der englische Admiral Howard brennende Schiffe auf sie zufahren, was zur Panik unter den Spaniern führte. In der sich anschließenden Schlacht siegten die Engländer und zwangen die Armada, den Rückzug anzutreten. Er stand unter einem schlechten Stern, denn starke Stürme verhinderten die Rückfahrt durch den Ärmelkanal. Deshalb traten die Spanier den sehr gefährlichen Weg um die Nordküste von Schottland und die Westküste von Irland nach Hause an. Nur 67 Schiffe erreichten, zum Teil beschädigt, die Heimat.

Zweihundert Jahre später versuchte der französische Kaiser Napoleon I. erneut eine Invasion der britischen Insel – und scheiterte. Auch die Niederzwingung der englischen Wirtschaft durch die französische Kontinentalsperre von 1806 durch Abschneiden der Handelswege zwischen der Insel und dem Kontinent hatte keinen Erfolg. Der Versuch deutschen Wehrmacht im Jahr 1940, Großbritannien zu Wasser und aus der Luft klein zu kriegen und für eine erneute Invasion sturmreif zu schießen, scheiterte wiederum. Das „Unternehmen Seelöwe“ musste im Frühjahr 1941 aufgegeben werden, bald schon schlug die britische Luftwaffe mit ihren verheerenden Bombenangriffen zurück. Der in einem knappen Jahrtausend entstandene Mythos von der Uneinnehmbarkeit Britanniens wurde hierdurch weiter gefestigt.

Helmut Caspar

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