"Licht in Säcken ins Rathaus getragen" -
Schildbürger und andere Narren sterben nicht aus



Wer sich darauf „spitzt“, einmal gut zu erben und sonst nichts anderes tut, muss schon ein großer Narr sein, lautet die Botschaft dieses Holzschnitts im „Narrenschiff“ des Sebastian Brants. (Repro: Caspar)

Ein Rathaus ohne Fenster, in das das Licht in Säcken herein getragen wird, eine Kuh, die eine mit Gras bewachsene Stadtmauer abweiden soll, Salz, das auf dem Acker ausgestreut wird, damit es in Notzeiten reiche Ernte trägt - die Zahl der historischen Schildbürgerstreiche ist unendlich. Heute kommen täglich neue hinzu. Wir kennen die millionenteuren Planungsfehler und Investitionsruinen - Straßen, die ins Nichts führen, Leitungen, die keinen Anschluss haben, Flüsse, die begradigt werden und deren Deiche bei starker Flut brechen, angebliche Hightec-Projekte, die zu nichts zu gebrauchen sind, den Steuerzahler aber ausserordentlich belasten.

Dagegen ist das, was in dem berühmten Volksbuch von 1595 über die Streiche der Schildbürger beschrieben wurde, noch harmlos, denn die volkswirtschaftlichen Dimensionen der angerichteten Schäden waren gering. „Es gab viele schlaue Leute vordem im deutschen Reich, / den Bürgern Schildaus aber, kam niemals einer gleich“, heißt es in einem Spottgedicht von damals. Verfasser des historischen Schildbürgerbuches, das immer wieder aufgelegt und mit neuen Geschichten ausgeschmückt wurde, ist Johann Friedrich von Schönberg, seines Zeichens kursächsischer Hofrichter und Amthauptmann in Wittenberg. Dass es Schildbürger nur in Städten wie Schilda, einem Ort in „Misnopotamia“ (Markgrafschaft Meißen), Schildau oder Schiltburg gibt, ist untertrieben, denn Schildbürger gibt es überall, und sie sterben leider auch nicht aus.

Neben den Geschichten vom Doktor Faust, das von Goethe dramatisiert wurde, und vom umtriebigen und weit gereisten Eulenspiegel, dem Volkshelden mit der zweizipfligen Kappe und dem Spiegel in der Hand, zählt das über 400 Jahre alte Schildbürgerbuch zu volkstümlichen und weit verbreiteten Literaturwerken des 16. Jahrhunderts. Der Stoff steckt voller Witz und Weisheit, und schaut man genau hin, so sind die Schildbürger durchaus keine dummen Leute. Schlau wie sie waren, wollen sie im Grunde von ihrer Obrigkeit, den Fürsten und Amtsleuten, in Ruhe gelassen werden. Gegen Einmischungen und Anweisungen von „oben“ setzen sie sich mit allerhand Narreteien zur Wehr und haben in ihrer entwaffnenden Art damit sogar Erfolg. Auf die Dauer konnte ihr närrisches Treiben jedoch nicht gut gehen, denn die Schildbürger verinnerlichen laut Volksbuch das, was sie tun so sehr, dass sie nicht anders konnten als ihren Streichen immer neue hinzu zu fügen. Aus vorgetäuschter Dummheit und Planlosigkeit wurde am Ende echte Narrheit, über die bis heute alle Welt lacht.

Bevor die legendären Streiche der Schildbürger aufgeschrieben wurden, kursierten auch andere Bücher, mit denen den Menschen ein Spiegel vorgehalten wurde. Der 1494 in Basel veröffentlichte „Narrenspiegel“ von Sebastian Brant war ein, wie wir heute sagen würden, Bestseller und wurde mehrfach bearbeitet, übersetzt und nachgedruckt. Mit deftiger Sprache und ebensolchen Holzschnitten (an denen unter anderem auch der junge Albrecht Dürer mitgewirkt hat) werden allerlei Untugenden wie Gottlosigkeit und Geiz, Faulheit, Lüsternheit und Falschheit, üble Nachrede und der Hang zu Zank und Streit und viele andere „Narrheiten“ kritisch und - gültig zum Teil bis heute - aufs Korn genommen.

Helmut Caspar

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