Im Mahlstrom der deutschen Geschichte -
Neues Buch über das vor 400 Jahren gegründete Joachimsthalsche Gymnasium



Titel des Buches von Heinz Wegener (Repro: Caspar)

Als das Joachimsthalsche Gymnasium vor 400 Jahren vom brandenburgischen Kurfürsten Joachim Friedrich gegründet wurde, war ihm nur kurze Zeit klösterlicher Abgeschiedenheit in der uckermärkischen Stadt Joachimsthal beschieden. Bereits 1636, mitten im Dreißigjährigen Krieg, mussten Lehrer und Schüler in die Haupt- und Residenzstadt Berlin vor marodierenden Soldaten fliehen. Die Bildungsstätte, an der berühmte Lehrer unterrichteten und viele bedeutende Persönlichkeiten ausgebildet wurden, blieb an der Spree bis in die Kaiserzeit an wechselnden Standorten und erwarb dort einen Namen als Pflanzstätte von Gelehrten, Geistlichen und tüchtigen Staatsbeamten.

Was sich seit dem aus finanziellen Gründen notwendigen Umzug 1912 in die uckermärkische Stadt Templin zutrug, bildet den Schwerpunkt einer zur Vierhundertjahrfeier der von den Hohenzollern geförderten Bildungsstätte erschienen Darstellung, der Heinz Wegener, selbst ein Templiner und „Joachimsthaler“ dazu, den Untertitel „Ein Berlin-Brandenburgisches Gymnasium im Mahlstrom der deutschen Geschichte 1607-1907“ gab. Das umfangreiche Werk erschien vor kurzem im Verlag Berlin Story, hat 562 Seiten und kostet 29,80 Euro (ISBN 987-3-929829-62-4). Leider ist es kaum illustriert, doch haben Autor und Verlag aus Platzgründen auf Bilder verzichtet.

Der Autor lädt zu einer spannenden Zeitreise ein, hält sich aber nicht lange mit den ersten dreihundert Jahren Schulgeschichte auf, die in anderen Büchern bereits ausführlich dargestellt ist. Vielmehr befasst er sich intensiv mit den letzten 70, 80 Jahren Joachimsthalscher Schulgeschichte und bietet aufgrund einer umfangreichen Quellenrecherche neue Einsichten in das Geschehen an der christlich-humanistisch geprägten Schule und in die Versuche erst der Nationalsozialisten, dann nach 1945 der Kommunisten, sie ihren Zielen dienstbar zu machen, und als das nicht möglich war, sie zu liquidieren.

Viele „Ehemalige“ aus der Nachkriegszeit, ob Schüler oder Lehrer, Funktionäre oder Kulturpolitiker finden ihre Namen in dem Buch wieder. Manches, was Wegener über sie zu berichten weiß, ist nicht gerade schmeichelhaft, aber so steht es nun einmal in den Akten. Was sich am Gymnasium zutrug, war ein Abbild des in Ostdeutschland praktizierten Klassenkampfes. Wer nicht ins Schema passte, flog raus oder erhielt eine Beurteilung, die es ihm unmöglich machte, an einer DDR-Universität zu studieren. Die ursprünglich vom liberalen preußischen Staat den Schülern und Schülerinnen höherer Lehranstalten erlaubten Freiräume zur selbst bestimmten Persönlichkeitsbildung wurden, wie Wegener schreibt, zunächst von der totalitären Nazi-Diktatur mit verwaltungsmäßiger Verordnung ihrer rassistisch-völkischen Weltanschauung in den Stundenplänen, der staatlichen Integration des Einzelnen in die so genannte NS-Volksgemeinschaft und der außerschulischen, vormilitärischen Ausbildung der in der Staatsjugendorganisation HJ (Hitlerjugend) und des BDM (Bund Deutscher Mädel) zwangsrekrutierten Schülerschaft beseitigt. Der Verfasser konstatiert aus eigenem Erleben eine Fortsetzung dieser Gleichschaltungspolitik, die in der umfassenden Zurückdrängung jeder eigenverantwortlichen, kritischen, individuellen Persönlichkeitsentwicklung gipfelte. Ob und welche Erfolge dabei erzielt wurden, wird jeder für sich entscheiden. Die Ausrichtung auf die Parteilinie funktionierte nicht immer und überall.

Wegeners Buch endet mit einem Plädoyer für die Neugründung des Gymnasiums in der aus der Kaiserzeit stammenden Templiner Schulstadt. Und es ist ein Appell an die Politik, das nachzuholen, was bald nach der Wiedervereinigung in Sachsen und Sachsen-Anhalt gelang und Früchte trägt – die Wiederbelebung der Traditionsschulen St. Afra in Meißen, St. Augustin in Grimma und Schulpforta bei Naumburg. Die brandenburgische Landesregierung, die derartigen Bestrebungen in den vergangenen Jahren immer nur Absagen erteilte, sollte sich nicht weiter verweigern und den Weg zum Neuaufbau der brandenburgischen Traditionsschule freimachen. Jüngste Entwicklungen lassen hoffen, dass das Gymnasium eine neue Chance als eine auf Sprachen und moderne Kommunikationstechniken orientierte, international besetzte Bildungsstätte erhält.

Helmut Caspar

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