Esel, Käfer und Kletteraffen fürs Kinderzimmer -
Lehmanns bunt bedrucktes Blechspielzeug ging aus Brandenburg an der Havel in die ganze Welt und ist heute bei Sammlern sehr beliebt



Heike Köhler zeigt im Brandenburger Museum, wie man Blech mit einer Spindelpresse verformt hat.



Winzlinge aus bunt bedrucktem Metall gingen von Brandenburg in die Welt. (Fotos: Caspar)

Zwei Jahre nach der Wiedervereinigung von 1990 endete in Brandenburg an der Havel eine über hundertjährige Tradition – die Produktion von Spielzeug. Winzige Menschen aus Blech oder Kunststoff, wilde und zahme Tiere, aber auch Autos und Motorräder, Omnibusse, Eisenbahnen, Luftschiffe und urtümlich anmutende Flugzeuge sowie andere Erzeugnisse aus bunt bedrucktem Blech oder vollplastisch aus Kunststoff geformt kamen ins Museum, das bereits seit Jahrzehnten Zeugnisse der 1881 gegründeten und seither in aller Welt bekannten Brandenburger Spielzeugindustrie sammelt und heute einen Schatz von etwa 6000 Objekten besitzt. Eine Auswahl ist im Frey-Haus an der Ritterstraße in der Brandenburger Altstadt zu sehen. Ort der Ausstellung ist ein Hofgebäude der ehemaligen Kommandantur für ein im 18. Jahrhundert in der Domstadt an der Havel stationiertes Regiment. Der Name des Frey-Hauses bezieht sich auf die von König Friedrich II., dem Großen, anno 1751 verfügte Befreiung des als Wohn- und Dienstgebäude genutzten Hauses von Steuern und Abgaben. Im Mittelpunkt der Spielzeugschau stehen die Blecherzeugnisse des 1881 von Ernst Paul Lehmann gegründeten „Patent-Werks“. Der aus Berlin stammende Besitzer der „Blech- und Metallwaaren-Fabrik“ in der Plauerstraße 6 nutzte günstige Standortbedingungen und ein reiches Potenzial an weiblichen und daher auch billigen Arbeitskräften für die Schaffung seines Spielzeugimperiums, das den Namen der Stadt Brandenburg weithin bekannt machte. Lehmann war ein großer Tüftler und Erfinder. Er konstruierte immer neue Figuren und Apparate und ließ sie sich patentieren. Wenn jemand die beliebten Erzeugnisse nachahmte, setzte er seine Anwälte in Marsch, erzählt Heike Köhler, die mit ihrer bereits pensionierten Kollegin Katharina Kreschel die Ausstellung aufgebaut hat. „Ab und zu werden die Figuren zur Freude der kleinen und großen Besucher aufgezogen, und dann fahren, klettern, klopfen oder schnarren sie wie zu Lehmanns Zeiten. Wertvolle, ja einmalige Stücke sind darunter. Bei ihrem Anblick schlagen viele Sammlerherzen höher, denn historisches Spielzeug hat inzwischen einen großen Markt“, sagt Heike Köhler und zeigt auf Blechfiguren wie „Ehepaar Lehmann mit Hund“, „Störrischer Esel“ oder „Kletteraffe Tom“, die vor hundert Jahren in vielen Kinderzimmern anzutreffen waren und auf den Hitlisten des Brandenburger Patentwerks ganz oben standen. Ab und zu werden dem Museum alte, im Keller oder auf dem Dachboden gefundene Stücke angeboten. Nachdem sie zu kostbaren Sammlerstücken avanciert sind, geschieht das allerdings immer seltener umsonst, sondern zu saftigen Preisen. „Für teure Ankäufe ist unser Museumsetat zu klein. Zum Glück aber ist die Sammlung im Frey-Haus ziemlich komplett“, fügt die Museumspädagogin hinzu.

Bis zur Enteignung im Jahr 1948 und der Umwandlung des Patent-Werkes in einen Volkseigenen Betrieb, lieferte das nicht weit vom Frey-Haus entfernt ansässige Unternehmen mechanisches Spielzeug in zahlreiche Länder. Darunter waren ein wackelnder Matrose, ein tanzendes Schwein, auf dem ein Mann sitzt, ein Vater mit seinem Sohn „Fatzke“ auf einer Motorkutsche, ein Chauffeur mit einer Tute, die man mit einem kleinen Blasebalg bedienen konnte, oder auch der laufende Hund „Tyras“ und ein aufziehbarer Käfer. Die beiden Tiere und weitere Erzeugnisse wurden ursprünglich in einer Königsberger Spielzeugwarenfabrik hergestellt. Nach deren Konkurs kaufte Lehmann die Bestände, Werkzeuge und Patente und führte die Produktion unter seinem Namen weiter.

All die lustigen Musikanten, die Koffer- und Sänftenträger, die spielenden Mäuse und die an Stangen kletternden Menschen, die Tänzerinnen, Boxer, Rollschuhläufer und die Gärtner mit Schubkarren wurden in Brandenburg über mehrere Jahrzehnte angefertigt und verkauften sich hervorragend. Da Ernst Paul Lehmann mit der Zeit ging, bot er Luftschiffe und Ballons, aber auch kleine Automobile mit und ohne Verdeck an. Hinzu kam allerlei Kriegsspielzeug und in der Zeit des Ersten Weltkriegs sogar Unterseeboote. „Lehmann war ein einfallsreicher Unternehmer. Er orientierte sich an den Bedürfnissen des Marktes, baute technische Neuheiten nach, wußte, was ,in‘ ist“, erläutert Heike Köhler. Indem er das raketenförmige Auto Uhu als Miniatur kopierte, mit dem 1899 ein Weltrekord von über einhundert Stundenkilometer aufgestellt wurde, oder auch Wild-West-Reiter nach dem berühmten Büffeljäger Buffalo Bill schuf, sicherte seinem Unternehmen internationalen Absatz.

Um geschäftsschädigende Nachahmungen zu verhindern, ließ Lehmann seine Erzeugnisse patentieren und mit einer Schutzmarke versehen, die aus einer Spindelpresse mit dem Buchstaben „e“ nach Ernst Paul Lehmann bestand. Das zuvor bunt bedruckte Blech erhielt auf solchen Geräten mit Hilfe von Stempeln oder Gesenken, die durch einen mit einer Schraube verbundenen Schwungarm auf- und ab bewegt wurden, die gewünschte Form und wurde anschließend zusammen gebaut.

Neben buntem Blechspielzeug wurden in Brandenburg auch Figuren aus Lineol hergestellt. In der 1906 gegründeten Fabrik von Oskar Wiederholz hat man eine erwärmte Masse aus Holzmehl, Öl, Leim und Kreide in sorgsam ziselierte Metallformen gepresst. Nach dem Erkalten des zusätzlich mit Eisendraht stabilisierten Kunststoffs wurden die Figuren naturgetreu bemalt. Die Modelle für die realistisch gestaltete Tiere schuf der Bildhauer Albert Caasmann, der sich Anregungen im Berliner Zoo holte. Wie Lehmanns buntes Blechspielzeug sind auch originale Lineol-Produkte bei Sammlern beliebt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man sowohl die Fabriken von Lehmann als auch die Lineol-Spielwarenfabrik AG von Wiederholz enteignet und sie unter dem neuen Namen „VEB Spielwarenwerk Patent-Lineol“ weiter produzieren lassen. Zu alten Modellen kamen neue Kreationen, darunter elektro-mechanisch angetriebenes Spielzeug wie Haus- und Wildtiere, aber auch PKW, Lastautos, Militärfahrzeuge, Raupenschlepper, Feuerwehren und nach dem Flug des „Sputnik“ auch Weltraumraketen. Das 1990 als Spielwaren GmbH privatisierte Werk versuchte einen Anschluss an die Marktwirtschaft mit neuen Modellen, aber auch mit der Kopie bewährter Erzeugnisse aus vergangenen Zeiten, doch erwiesen sich diese Repliken als zu teuer und zu aufwändig, so dass das Unternehmen seine Produktion einstellen musste. Letzter Liebesdienst war die Übergabe von Geräten und Erzeugnissen an das Museum, das der über einhundertjährigen Spielzeugproduktion an der Havel ein eindrucksvolles Denkmal setzt. Das Museum Frey-Haus in der Ritterstraße 96, 14770 Brandenburg an der Havel, ist von Dienstag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, am Samstag, Sonntags und an Feiertagen von 10 bis 17 Uhr bei freiem Eintritt geöffnet. Es ist am 24., 25. und 31. Dezember sowie 1. Januar geschlossen. Weitere Informationen zur Brandenburger Spielzeugproduktion in einem von Heike Köhler und Katharina Kreschel verfassten Begleitheft „Vom störrischen Esel zum Kletteraffen Tom“ (64 S., zahlr. farbige Abb., 7,50 Euro) sowie im Internet unter www.stadt-brandenburg.de oder telefonisch 03381/584501.

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