Hungersnot führte zum Kartoffelkrieg -
Wie vor 160 Jahren in Berlin eine Versorgungskrise bewältigt wurde



Verteilung von Kartoffelland an arme Berliner. Illustration aus dem späten 19. Jahrhundert. (Repro: Caspar)

Die preußische Hauptstadt Berlin mauserte sich im 19. Jahrhundert von einer mittelgroßen Residenz zur Weltmetropole. Zwischen 1800 und 1870 stieg die Einwohnerzahl von 180 000 auf eine Million. Da war es schwer, die Versorgung von so vielen Menschen zu sichern. Höhere Stände merkten kaum etwas von den sich ständig wiederholenden Versorgungskrisen, und sie wussten auch nicht, was sich in den Elendsquartieren abspielte. Das Nahrungsmittelangebot, zum Teil über viele Kilometer aus der Provinz auf unsicheren Straßen mit dem Pferdewagen oder auf dem Wasserweg herbeigefahren, manchmal auch mühsam auf dem Rücken von Bauern und Tagelöhnern angeschleppt, reichte vorn und hinten nicht. Viele Menschen konnten sich bei den geringen Löhnen gerade noch Brot, Kohlsuppe und Kartoffeln leisten. Fleisch und Butter waren Luxus, ebenfalls Milch, die kleinen Kindern und alten Leuten als eine Art Medizin verabreicht wurde. Da viele landwirtschaftliche Erzeugnisse auf den zum Teil recht langen Wegen in die Stadt verdarben, war das Angebot nicht gerade üppig. Möglichkeiten, Fleisch, Milch und andere Produkte zu kühlen, waren begrenzt und wurden erst im späten 19. Jahrhundert durch Erfindung von Eisschränken breiter genutzt.

Der Revolution vom 18. März 1848 ging der so genannte Kartoffelkrieg voran, bei dem sich die Berliner Stadtarmut mit der Polizei erbitterte Straßenschlachten lieferte. Ausgelöst wurde die Revolte durch eine Missernte von 1846, durch die die Preise für Grundnahrungsmittel, vor allem für Kartoffeln und Roggen, stark anstiegen. Hinzu kam als Folge einer Wirtschaftskrise Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit. Das Maß der Unzufriedenheit war voll, als Händler am 21. April 1847 auf dem Molkenmarkt und dem Gendarmenmarkt im heutigen Bezirk Mitte die ohnehin schon gepfefferten Preise weiter nach oben trieben und sich außerdem noch erdreisteten, die aufgebrachten Kunden zu verspotten. Das sprach sich schnell herum, und so kam es überall in der Stadt vor allem auf Märkten, aber auch vor Bücher- und Fleischerläden zu Unruhen und Tumulten, an deren Spitze viele ausgehungerte Frauen standen, die ihre Kinder nicht mehr versorgen konnten. Da und dort wurden Barrikaden errichtet, um die schnell herbeigerufene Polizei und das Militär am Einschreiten zu hindern, und es kam auch zu Angriffen auf Palais und Villen der preußischen Oberschicht, die natürlich keinen Hunger litt. Der Kartoffelkrieg dauerte drei Tage und wurde gewaltsam beendet. Die Staatsmacht war stärker und rächte sich an einigen Rädelsführern und Aufrührern, wie man sagte, mit hohen Gefängnis- und Zuchthausstrafen.

Eine Antwort auf die Hungersnot war unter anderem die Öffnung von Lebensmittelmagazinen, die Einrichtung von Pferdeschlächtereien, für deren ungewohnte Angebote ordentlich geworben wurde, und auch die Festsetzung von Höchstpreisen für Lebensmittel. Außerdem wurde eine Steuer auf Wildbret, also Wildfleisch, erhoben, deren Erlös der Armenkasse überwiesen wurde. Schließlich wurde armen Berlinern die Möglichkeit gegeben, auf städtischen Ländereien Gemüsegärten sowie kleine Kartoffeläcker anzulegen.

Soziale Dienste, die Kirchen und mildtätige Bürger kümmerten sich um Arme und Schwache, doch reichten ihre Mühen nicht aus. Weitblickende Leute wie der Arzt Rudolf Virchow setzten sich unter dem Eindruck immer wiederkehrender Versorgungsprobleme für den Bau von Markthallen ein, um den Verkauf von Lebensmitteln unter freiem Himmel einzuschränken und so auch das Angebot an „sicheren“ Erzeugnissen zu verbessern.

Helmut Caspar

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