Letzte Karte im Poker um Sieg oder Niederlage -
Vor 80 Jahren erklärte das Deutsche Reich den uneingeschränkten U-Boot-Krieg



Deutsche U-Boote torpedieren feindliche Munitionsschiffe – mit solchen Plakaten wurde 1917 im Deutschen Reich für eine Krieganleihe geworben. (Repro: DHM Berlin)

Knapp zweieinhalb Jahre dauerte bereits der Erste Weltkrieg, als Kaiser Wilhelm II. am 1. Februar 1917, vor nunmehr 80 Jahren, für das Deutsche Reich den uneingeschränkten U-Boot-Krieg erklärte. Künftig würden auch Passagier- und Handelsschiffe neutraler Staaten angegriffen und versenkt werden, kündigte der Monarch in Übereinstimmung mit der um den Sieg bangenden Obersten Heeresleitung an. Für sie war der U-Boot-Krieg so etwas wie die letzte Karte im Poker um Sieg oder Niederlage.

Bis zu jenem 1. Februar 1917 hatten der Kaiser und sein Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg den Einsatz der U-Boot-Waffe, wie man damals sagte, nur geduldet, wohl wissend, dass dieser Schritt hohe Risiken birgt. Dass der Krieg mit Hilfe von U-Boot-Geschossen das Völkerrecht verletzt, spielte bei seiner Ausrufung kaum eine Rolle. Schließlich hatten die Deutschen als erste schon 1915 gegen jedes Kriegsrecht Giftgas als Waffe mit schrecklichen Folgen eingesetzt. Erst auf Druck der obersten Militärs Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gaben der Kaiser und sein Kanzler nach und schlugen sich auf die Seite dieser beiden auf kriegerischen Ruhm erpichten Hardliner. Angeblich würde England binnen eines halben Jahres kleinbei geben und in Friedensverhandlungen mit dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten eintreten, war das deutsche Oberkommando überzeugt. Dort herrschte die Meinung vor, dass man England aushungern könne, indem man die amerikanischen Schiffe eines nach dem anderen versenkt. Wie sehr sollten sich diese Träumer im Feldmarschalls- und Generalsrang verrechnen!

Die Ausrufung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges hatte eine Vorgeschichte. Gleich zu Kriegsbeginn hatten die Briten gegen Deutschland eine Seeblockade verhängt. Daraufhin erklärte die deutsche Seekriegsleitung die Gewässer um die Britischen Inseln zum militärischen Operationsgebiet. Die zunächst wenigen deutschen U-Boote sollten dort eine Gegenblockade errichten. Da aufgetauchte U-Boote den Geschützen von Handelsschiffen gegenüber schutzlos ausgesetzt waren, befahl die deutsche Marineleitung am 22. Februar 1915, Schiffe feindlicher Staaten ohne Vorwarnung zu torpedieren. Gegen dieses Vorgehen protestierten die neutralen Länder, insbesondere die USA, auf das Schärfste. Als ein deutsches U-Boot am 7. Mai 1915 den britischen Passagierdampfer „Lusitania“ versenkte, zählte man unter den fast 1200 Opfern auch 139 US-Staatsbürger. Dieser Angriff löste in den USA schärfste Proteste aus und veranlasste die Regierung, ihren abwartenden Standpunkt gegenüber dem Deutschen Reich und seinen Verbündeten zu überdenken.

Aus Sorge vor einer weiteren Belastung der bereits sehr gespannten Beziehungen zu den USA stellte das Deutsche Reich zunächst seinen U-Boot-Krieg ein. Doch angesichts der prekären Lage an den eigenen Fronten und in der Heimat und in der Hoffnung, schnell einen Sieg zu erringen, forderte die deutsche Marineleitung zu Beginn 1917 erneut, den U-Boot-Krieg mit allen Kräften zu beginnen. Das aber war ein großer Fehler. Denn nun fühlten sich die USA, die bisher eine neutrale Position eingenommen hatten, existenziell bedroht. Sie hatten mit unzähligen Schiffen vor allem England mit Nahrungsmitteln, Waffen und anderen wichtigen Gütern versorgt. Diese Hilfe sollte ihnen nun verwehrt werden, und außerdem stand das Leben zahlloser amerikanischer Marinesoldaten auf dem Spiel.

Nachdem bereits einige amerikanische Handelsschiffe durch deutschen Beschuss versenkt worden waren, erklärte US-Präsident Woodrow Wilson am 6. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg. Dieser historische Schritt wurde auch mit Informationen über geheime Versuche der Deutschen begründet, in Verhandlungen mit Mexiko einzutreten, welche die gewaltsame Abtretung von US-Bundesstaaten an Mexiko zum Ziel hatten.

Mit der Kriegserklärung an Deutschland, der sich weitere Staaten auf dem amerikanischen Kontinent anschlossen, gab Wilson seine bisherige Linie auf, mit den Mittelmächten, also Deutschland, Österreich-Ungarn, Türkei und ihren Verbündeten, in Friedensgespräche einzutreten und den Krieg möglichst bald und friedlich zu beenden. In beiden Häusern des amerikanischen Kongresses sowie in Frankreich und England wurde Wilsons Vorgehen, das so etwas wie eine Wende im Ersten Weltkrieg bedeutete, begrüßt. Beiden Ländern, die als ehemalige Kolonialmächte den Vereinigten Staaten historisch und mental verbunden waren, wuchs nun ein starker Verbündeter zu. Reste von Sympathie, die viele Amerikaner mit deutschen Wurzeln gegenüber ihrem Herkunftsland empfanden, gingen angesichts der eskalierenden Gewalt und der von deutschen U-Booten verantworteten Verluste an Menschen und Schiffen in Hass und Verachtung über.

Nach dem Beginn des U-Boot-Kriegs waren auf beiden kriegführenden Seiten alle Pläne vom Tisch, eine Friedenskonferenz einzuberufen und die Waffen zum Schweigen zu bringen. Noch glaubten Kaiser Wilhelm II. und seine oberste Heeresleitung an einen „Siegfrieden“, noch konnten sie sich nicht vorstellen, dass es wie in Russland auch im Deutschen Reich zur Revolution und zum Sturz des Kaisers kommen würde. Indem Deutschland in Brest-Litowsk einen Sonderfrieden mit dem nunmehr bürgerlich-republikanischen Russland abschloss, verschaffte es sich an der Ostfront Luft. Doch die davon erhoffte militärische Wende ließ sich nicht mehr erreichen. Dazu waren das Deutsche Reich politisch, militärisch und wirtschaftlich viel zu erschöpft und seine kriegsmüde Bevölkerung zu den von der kaiserlichen Generalität geforderten „totalen“ Kriegsanstrengungen nicht mehr bereit.

Helmut Caspar

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