Seismograph unserer Epoche -
Zehn-Euro-Münze ehrt 2008 den vor 125 Jahren in Prag geborenen Schriftsteller Franz Kafka


Frantisek Chochola gewann mit seinem Modell den ersten Preis im Wettbewerb um die für 2008 geplante Kafka-Münze zu zehn Euro. Das G auf der Adlerseite sagt, dass die Münze in Karlsruhe geprägt wird.(Foto: Felix Gross)

Der 125. Geburtstag des aus Prag stammenden Schriftstellers Franz Kafka (1883-1924) wird im kommenden Jahr durch Ausgabe einer deutschen Silbermünze zu zehn Euro gewürdigt. Aus dem künstlerischen Wettbewerb ging Frantisek Chochola mit einem Entwurf siegreich hervor, der Kafkas Bildnis mit einer seiner Handschriften sowie einer Ansicht des Prager Veitsdoms kombiniert. Kafkas markante Gesichtszüge tauchen gleichsam aus dem Geschriebenen auf, treten dem Betrachter entgegen und nehmen ihn in ihren Bann. Dieses Hervorheben und Versinken thematisiere in gelungener Form das gespannte Verhältnis des Autors zu seinem Text, lobte das Preisgericht Chocholas Münzentwurf. Auch wenn sich das Porträt auf den Betrachter zubewegt, weiche der Blick ihm aus, und dies verstärke die divergierende Ambivalenz dieses Entwurfs. Er sei plastisch außerordentlich fein durchgearbeitet und lasse die Gesichtszüge zwischen Versonnenheit und Aufmerksamkeit spielen. „Die linke Seite zeigt auf dem Münzgrund den Veitsdom, nicht nur als ein Kennzeichen dieser Stadt und als Verweis auf diesen Ort, sondern vor allem als Schauplatz in Kafkas Werken, auch als Andeutung des historisch-kulturellen Hintergrunds von Kafkas Lebensgeschichte.“

Die meisten Münzentwürfe bilden das Porträt des Schriftstellers ab, den man einmal einen „Seismographen unserer Epoche“ genannt hat. Wenn man Kafka gutbürgerlich mit Anzug und Schlips sowie korrekt gezogenem Mittelscheitel betrachtet, wird man kaum ahnen, was in diesem zu einem langweiligen Bürodasein verurteilten Künstler steckte und wie sehr er das literarische und kulturelle Leben seiner Zeit und Nachwelt geprägt hat. Einige Entwürfe verzichten auf Bildnisse und spielen statt dessen auf Kafkas Welt an, auf die Gefangenschaft des Menschen in den undurchschaubaren Labyrinthen des Lebens und sein Ausgeliefertsein an anonyme Mächte. Für diese Situation hat sich der Begriff „kafkaesk“ eingebürgert. Er wurde zum Synonym für bedrückend-absurde Zustände, für ein Gefühl der Verlorenheit des Einzelnen gegenüber anonymen, unbegreiflichen, unnahbaren, aber immer präsenten Mächten. So sieht man auf einem Modell den Schriftsteller zusammengesunken an einem Tisch sitzend, umgeben von schräg aufgestellten Wänden, aus denen es kein Herauskommen zu geben scheint.

Das von einer Kafka-Zeichnung inspirierte Motiv des Künstlers, der über sein Leben und Werk verzweifelt, kommt auch auf einem anderen Modell vor, doch dominieren Bildnisse des Autors, der am 3. Juli 1883 in Prag in einer wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie geboren wurde. Auf Wunsch seines übermächtigen, ganz auf seine Geschäfte fixierten Vaters studierte der junge Kafka recht lustlos Germanistik und Jura an der Deutschen Universität in Prag und arbeitete bis zu seiner krankheitsbedingten Pensionierung als Jurist an der Arbeiter-Unfall-Versicherung in Prag, der zur österreich-ungarischen Monarchie gehörenden Hauptstadt des damaligen Königreichs Böhmen, heute Hauptstadt der tschechischen Republik.

Franz Kafkas Muttersprache war deutsch, doch beherrschte er auch die tschechische Sprache. Bereits als Schüler begann er zu schreiben. Für ihn war das eine Möglichkeit, für Momente aus der unglücklichen, von Furcht vor dem dominanten Vater geprägten Familienwelt zu entfliehen. Bereits als Student hatte Kafka Zugang zur Prager Literaturszene. So lernte er 1902 er den jungen Schriftsteller Max Brod kennen, mit dem ihn fortan eine lebenslange tiefe Freundschaft verband. Brod ermutigte den von starken Selbstzweifeln geplagten Kafka zum Schreiben, und so entstand 1904/05 das früheste erhaltene literarische Werk, die Novelle „Beschreibung eines Kampfes“. Was Kafka in dieser frühen Periode noch schrieb, ist nicht erhalten, weil der Autor diese Texte selbst vernichtet hat. 1907 entstand das Romanfragment „Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“, ein Jahr später wurden Kafkas erste Arbeiten in der Münchner Literaturzeitschrift „Hyperion“ veröffentlicht, und 1910 folgten weitere Texte in der Prager Literaturzeitschrift „Bohemia“. Kafka ging dazu über, seine Erlebnisse und Erfahrungen, Reflexionen und Selbstanalysen sowie Werkentwürfe einem Tagebuch anzuvertrauen. Zugleich begann er, sich mit dem jiddischen Theater und auch allgemein mit dem Judentum zu beschäftigen mit dem Ergebnis, dass er in seiner Selbstwahrnehmung von einem assimilierten, „zufälligen” zu einem bewussten Juden wurde. Im Sommer 1912 lernte Kafka bei Brod die Berliner Prokuristin Felice Bauer kennen, mit der er einen intensiven Briefwechsel pflegte. Die Beziehung gipfelte in einer Verlobung, die aber nur kurz hielt. Biographen sehen in der unglücklichen Liebe Kafkas Unfähigkeit, Bindungen einzugehen, und konstatieren ein gestörtes Verhältnis zu Frauen. Dabei wünschte sich der Schriftsteller nichts sehnlicher als eine Ehefrau und eine Familie. Die Jahre der Beziehung zu Felice gehörten zu Kafkas produktivster Zeit. Nachdem er 1912 an dem Fragment gebliebenen Roman „Der Verschollene“ zu schreiben begonnen hatte, verfasste er in nur einer Nacht die Erzählungen „Das Urteil“ und anschließend „Die Verwandlung“, die seinen schriftstellerischen Durchbruch markierten. 1914 begann Kafka mit der Arbeit an seinem Hauptwerk, dem Roman „Der Prozess“ sowie die „In der Strafkolonie“. Kafka fand Anerkennung in Prager Literatenkreisen, las öffentlich aus seinen Werken und verkehrte mit bekannten Schriftstellern. Nach seiner Erkrankung an Lungentuberkulose (1917) schrieb Kafka einen langen Brief an seinen Vater, in dem er ein bedrückendes Resümee seines eigenen Lebens und der spannungsreichen Beziehung zu seiner Familie schilderte. Allerdings hat dieser Brief seinen Empfänger nie erreicht. 1920 begegnete Kafka der tschechischen Journalistin Milena Jesenská, die seine Werke ins Tschechische übersetzte. Sie war der einzige Mensch, dem Kafka seine Tagebücher und seinen Brief an den Vater zu lesen gab. In der wenigen Zeit, die Kafka blieb, entstanden zahlreiche Erzählungen, darunter „Ein Hungerkünstler“ sowie der Anfang des unvollendeten Romans „Das Schloss“. Im Januar 1922 erlitt Kafka, an Schlaflosigkeit, Angst und Verzweiflung leidend, einen Nervenzusammenbruch, der einen erneuten Erholungsurlaub mit anschließender Frühpensionierung erforderlich machte. Während einer Kur im Ostseebad Müritz lernte Kafka die polnische Jüdin Dora Diamant kennen, zu der er Ende September 1923 nach Berlin zog. Die folgenden sechs Monate waren vielleicht die glücklichsten seines Lebens. Erstmals erlebte Kafka weit entfernt von Prag und seiner Familie die einzige harmonische Beziehung an der Seite einer Frau. Allerdings verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, und so begab er sich nach Österreich in ärztliche Behandlung. Am 3. Juni 1924 starb der Schriftsteller im Sanatorium Kierling bei Wien. Franz Kafka hatte testamentarisch ausdrücklich verfügt, dass sein unveröffentlichter Nachlass nach seinem Tod vernichtet werde, doch hielt sich sein Freund Max Brod nicht an diese Vorschrift, sondern publizierte posthum die Romanfragmente „Der Prozess“, „Das Schloss“ und „Amerika“. Mit der Herausgabe der Schriften in sieben Bände mit einer Biographie von Brod begann die weltweite Rezeption des zu Lebzeiten wenig beachteten Schriftstellers und Kafkas Ruhm bis heute. Von den Nationalsozialisten verfemt, wurde Kafkas rätselhafte, bedrohliche, surrealistische Welt erst nach 1945 in Deutschland und im deutschsprachigen Raum entdeckt und angenommen.

Helmut Caspar

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