„Ich werde dir schreiben...“ -
Vor 75 Jahren begann Verfolgung der Juden / Dokumentation am Bayerischen Platz



Schrifttafeln am Bayerischen Platz und angrenzenden Straßen schildern das Unrecht, das den jüdischen Bewohnern in der Nazizeit angetan wurde. (Foto: Caspar)

Gedenktafeln im Bayerischen Viertel, einem Zentrum jüdischen Lebens im Berliner Bezirk Schöneberg, erinnern an Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung der Bewohner in der Nazizeit, die vor 75 Jahren, am 1. April 1933, mit dem so genannten Juden-Boykott begann. In der als „gehoben“ anzusprechenden Gegend rund um den Bayerischen Platz wohnten jüdische Rechtsanwälte, Ärzte. Künstler und Intellektuelle. Viele erkannten die Lebensgefahr für sich erst dann, als es für die Auswanderung schon zu spät war. Mit Kriegsbeginn am 1. September 1939 wurden Berliner Juden zur Zwangsarbeit verpflichtet, und es begannen die ersten Todestransporte in die Gettos und Vernichtungslager im besetzten Polen. Von den 16 000 Juden, die vor 1933 in Schöneberg lebten, wurden Tausende ermordet. An sie erinnert das vom Kunstamt Schöneberg initiierte Projekt „Mahnen und Gedenken im Bayerischen Viertel“. Im Rahmen einer Freiluftausstellung und um den Bayerischen Platz wird auf Bild- und Schrifttafeln an Laternenmasten und Häuserwänden die schrittweise Entrechtung der Juden im so genannten Dritten Reich dokumentiert. Der vom Propagandaminister Joseph Goebbels organisierte Boykott jüdischer Geschäfte und Ärzte war dafür nur der Anfang.

Die schrittweise Entrechtung nach der Errichtung der NS-Diktatur am 30. Januar 1933 und dann verschärft im Ergebnis der Nürnberger Rassegesetze von 1935 betraf alle Lebensbereiche und erstreckten sich von der Entlassung jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst über das Verbot des gemeinsamen Spiels von „arischen“ mit „nichtarischen“ Kindern und die Anordnung, wonach Juden ihre Wohnungen nach 8 Uhr abends („im Sommer 9 Uhr“) nicht mehr verlassen dürfen bis zur Ablieferungspflicht von Rundfunkapparaten. Juden wurden Sitzplätze auf Parkbänken verweigert; sie durften Lebensmittel nur noch zu bestimmten Zeiten, nämlich zwischen 14 und 15 Uhr, einkaufen. Für sie bestand seit Oktober 1941 ein Auswanderungsverbot, und schon bald wurden sie in die Konzentrations- und Vernichtungslager verschleppt. Auf einer dieser Tafeln ist ein Augenzeugenbericht von 1939 zu lesen, wonach Juden am Bayerischen Platz nur die gelb markierten Sitzbänke benutzen dürfen, auf einer anderen Tafel stehen diese letzten Worte: „Nun ist es soweit, morgen muß ich fort... u. das trifft mich natürlich sehr schwer... Ich werde Dir schreiben“.

Wer den Bayerischen Platz besucht oder durch die angrenzenden Straßen geht, sieht Leute, die die Tafeln lesen. Entsetzen steht in ihren Augen und Verwunderung über das, was vor 75 Jahren in Nazideutschland seinen Anfang nahm.

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