„Fröhlichsein und singen“ -
Die Stasi hatte vor 35 Jahren die X. Weltfestspiele unter operativer Kontrolle



Um die X. Weltfestspiele zum Erfolg zu bringen, mobilisierten Honecker & Co. die letzten Reserven. (Repro: Caspar)

Attentate, Flugblattaktionen, Mauerdurchbrüche, unerwünschte Zusammenrottungen – mit allem hatte die Stasi vor 35 Jahren gerechnet. Doch die X. Weltfestspiele der Jugend und Studenten in Ostberlin verliefen friedlich, äußerlich zumindest. Stasi-Minister Erich Mielke konnte seinem Chef, SED-Generalsekretär Erich Honecker, melden, alles sei „unter operativer Kontrolle“ gewesen und es habe keine besonderen Vorkommnisse gegeben.

Verlief das Freudenfest, zu dem die DDR die Jugend der Welt für neun Tage – vom 28. Juli bis 5. August 1973 - eingeladen hatte, wirklich wie geschmiert nach dem allbekannten Motto „Fröhlichsein und singen“? Waren sie ein „rotes Woodstock“, wie die Westpresse behauptete? Eine Diskussionsveranstaltung, zu der die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU, Birthler-Behörde) in die Thüringische Landesvertretung in Berlin-Mitte geladen hatte, kratzte ordentlich am Image dieses Freudenfestes, legte ungeschminkt die Ängste der Führung vor der eigenen Bevölkerung und ihre Befürchtung offen, dass irgend etwas schief gehen könnte. Und sie zeigte, welch ungeheurer personeller, finanzieller und logistischer Aufwand für den reibungslosen Ablauf des Spektakels im Zeichen bunter Blumen getrieben wurde.

Wie Christoph Ochs von der Robert-Havemann-Gesellschaft, Denise Wesenberg von der Universität Halle-Wittenberg, der Berliner Historiker Stefan Wolle und etliche Diskussionsteilnehmer schilderten, traf das seinerzeit zum Überdruss gesungene Lied „Ja, ja wir treffen uns auf jeden Fall im Sommer 73 zum zehnten Festival“ nicht auf so genannte feindlich-negative Personen oder solche zu, die die Staatsorgane für Asoziale und für Störer hielten. Die nämlich wurden nach Mielkes perfidem Säuberungsplan „vorsorglich“ verhaftet beziehungsweise massiv am Betreten ihrer Hauptstadt gehindert. „Wie schon 1936 zur Olympiade sollte Berlin den Gästen aus aller Welt ein ,sauberes Bild’ bieten, doch wiesen die Organisatoren des Festivals selbstverständlich jeden Vergleich mit dem Sportereignis unterm Hakenkreuz weit von sich“, erklärte Wolle, der 1973 an der Humboldt-Uni Geschichte studierte und wie seine Kommilitonen in Adlershof kaserniert war. Zur Verklärung der X. Weltfestspiele gebe es keinen Anlass. „Was heute über die Machenschaften des Geheimdienstes und Polizei bekannt ist, hätte man damals wissen können, wenn man es denn hätte wissen wollen“, meinte er und zielte damit auch auf auswärtige Besucher, die sich in ihrer Blauäugigkeit offenbar von der wirklichen beziehungsweise künstlich entfachten Begeisterung im Sommer ’73 hatten hinreißen lassen und die Festtage samt Rundumservice und Kulturprogramm von Bach bis Beat in vollen Zügen genossen.

Christoph Ochs legte erschreckende Zahlen aus den Unterlagen der Birthler-Behörde vor. Mielke hatte die Parole ausgegeben, dass seine hauptamtlichen Spitzel und die vielen Inoffiziellen Mitarbeiter alles zu sehen, zu hören und zu wissen hätten, doch nur im „äußersten Fall“ eingreifen sollten. „Um allen Komplikationen aus dem Weg zu gehen, gab es im Vorfeld Razzien, vor allem in den südlichen DDR-Bezirken und im Ostteil Berlins, wo sich erhebliches Oppositionspotential angesammelt hatte. Die Gründe für die Verhaftungen waren fadenscheinig, etwa weil jemand schon mal mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war, wegen langer Haare oder abgewetzter Jeans oder des Erzählens von politischen Witzen“, so Ochs. Dennoch sei es vorgekommen, dass die sorgsam ausgesuchten Diskutanten auf dem Alex nicht das sagten, was man ihnen vorher eingebleut hatte, und sich freimütig etwa zur Niederschlagung des Prager Frühlings fünf Jahre zuvor, zur Versorgungslage oder zur Mauer äußerten. „Da die Stasi überall mithörte, wurden manche der von westlichen Teilnehmern ideologisch verunsicherten DDR-Delegierten nach Abschluss des Festivals zur Rechenschaft gezogen, manche verloren ihren Studienplatz. Toleranz war nur von kurzer Dauer“.

Nicht ins Konzept der Organisatoren passte der Tod von Walter Ulbricht am 1. August 1973. Stundenlang habe, Stefan Wolle zufolge, Unklarheit geherrscht, wie man mit diesem Ereignis umgehen sollte. Halbmast und schwarze Schleifen an Fahnen waren unerwünscht, und so ging das Fest unbeeindruckt weiter. Angeblich habe der 1971 von seinem bisherigen Ziehsohn Erich Honecker geschasste SED-Chef, der nur noch formal Staatsratsvorsitzende war, auf dem Sterbebett gebeten, man möge das Festival wie geplant fortführen, das wäre ganz in seinem Sinne.

Die von lautstarken, hoch emotionalen und dazu unsachlichen Zwischenrufen einer Zuhörerin unterbrochene Diskussionsveranstaltung kam zu dem Ergebnis, dass die X. Weltfestspiele 1973 keineswegs mit jenem legendären Rockfestival verglichen werden können, das 1969 in Woodstock (USA) stattfand und mit seinen etwa halben Million Teilnehmern zum Symbol der Flower-Power-Bewegung mit ihrer Sehnsucht nach Gewaltlosigkeit und Frieden überall wurde. In Ostberlin habe sich ein kommunistischer Staat und seine selbstverliebte Führung feiern lassen. Sehenden Auges hätten sich dafür zahllose ausländische Gäste, auch manche Prominenz aus der Bundesrepublik, hergegeben. Vielleicht taten sie dies, um einen Beitrag zur Entkrampfung der Beziehungen zwischen Ost und West zu leisten, und sicher geschah das im Unwissen über die Repressalien gegen unangepasste Jugendliche durch die Sicherheits- und Justizorgane der DDR. Dass die X. Weltfestspiele wie jene im August 1951 im damals noch bombenzerstörten Ostberlin Riesensummen gekostet haben und die Staatsreserve gewaltig dezimierten, war 1973 für die Organisatoren nicht wichtig. Bedeutsam war die Aufwertung, die der ewig lächelnde und tanzende Honecker persönlich und sein Regime erfuhr. Allerdings war der Imagegewinn nur von kurzer Dauer, und wenn sich die Stasi mit ihren Spitzeln im Blauhemd noch so mühte, geistige Konterbande auszuspähen – der Niedergang des zweiten deutschen Staates ließ sich nicht aufhalten.

Am 10. Juli wird ebenfalls in der Vertretung des Freistaats Thüringen beim Bund, Mohrenstraße 64, Berlin-Mitte, über Honeckers Staatsbesuch 1987 in der Bundesrepublik gesprochen.

Zurück zur Themenübersicht "Berlin und das Land Brandenburg"