Abgeholt, verschleppt, ermordet -
Stolpersteine aus Messing erinnern überall in Berlin
an den Holocaust



In der Großen Hamburger Straße erinnern Stolpersteine aus Messing an jüdische Mitbürger, die hier gewohnt haben und von den Nationalsozialisten umgebracht wurden. (Foto: Caspar)

Wer in den Bezirken Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain, Prenzlauer Berg und an anderen Orten in der Stadt auf gravierte Messingplatten tritt oder über sie stolpert, hat einen von zahlreichen im Boden verankerten Stolpersteinen vor sich. Die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten, die inzwischen auch in anderen deutschen Städten und im Ausland verlegt werden, erinnern an die Deportation und Ermordung jüdischer Mitbürger in der Zeit der Nazidiktatur. Die Idee für die unscheinbaren Mahnmale im Boden hatte der Kölner Bildhauer Gunter Demnig. In der Domstadt wurde 1990, 50 Jahre nach der Verschleppung von Sinti und Roma, behauptet, dort hätten nie „Zigeuner“ gelebt. Als der Künstler nachforschte, stellte er fest, dass das nicht stimmt und die Deportation dieser von den Nazis als „minderwertig und asozial“ eingestuften Menschen nur die Generalprobe für den geplanten Mord an den Juden und anderen „Untermenschen“ war, wie die Nazipropaganda sagte. In Köln markierte der Künstler die Deportationsstrecke mit Kreide und Farbe und ging dazu über, der Opfer durch Verlegung von Betonsteinen zu gedenken.

Demnig begann 1996 im Berliner Bezirk Kreuzberg, Metallplatten mit eingravierten Namen und Lebensdaten in den Boden vor den Wohnhäusern der Deportierten und Ermordeten einzulassen. Die Angaben über die Opfer - Juden, Sinti und Roma, Kranke, Homosexuelle, politisch Verfolgte und viele andere Menschen - erhielt der Künstler von Museen und Gedenkstätten, aber auch von Hausbewohnern, die sich an die Verbrechen erinnerten oder von ihnen gehört hatten. Einbezogen in die Aktion waren und sind Schüler und Studenten. An ihrer Mitarbeit ist dem Künstler besonders gelegen, weil junge Leute auf diese Weise eine enge Beziehung zu den zwischen 1933 und 1945 Ausgrenzten, Verfolgten und schließlich Ermordeten eingehen und Schicksale hinter Namen und Daten erfahren. Die Stolpersteine lassen etwas von der Atmosphäre ahnen, unter denen Juden in Nazideutschland leben mussten, ständig unter Beobachtung lebend und von Verrätern umgeben.

Wie Denunziantenbriefe an die Gestapo lauten konnten, ist in der Ausstellung des Jüdischen Museums an der Lindenstraße im Bezirk Kreuzberg überliefert. Am 8. August 1943 schrieb eine Ilse S., wohnhaft Passauer Straße 8, an den Geheimdienst, „daß sich eine Jüdin heimlich bei Leuten hier im Hause versteckt und ohne Stern geht. Es ist die Jüdin Blumenfeld, die sich bei der Frau Reichert .... versteckt. So was muss doch sofort unterbunden werden, schicken Sie mal gleich früh so um 7 Uhr einen Beamten und lassen dieses Weib abholen. Diese Jüdin war früher wie sie hier im Hause wohnte immer frech und hochnäsig. Sie müssen aber schnell machen sonst verschwindet sie vielleicht wo anders hin“. Man muss nicht viel Phantasie haben um sich vorzustellen, welch tödliche Folgen diese Denunziation für die Jüdin und diejenigen hatte, die sie vor ihren Häschern zu verstecken versuchten.

Die Reaktionen auf den Versuch, die Namen ermordeter Mitbürger „zurückzuholen“, schwanken zwischen Zustimmung, Nachdenklichkeit und praktischer Mitwirkung bis zu strikter Ablehnung und Androhung gerichtlicher Schritte, weil Hausbesitzer eine Wertminderung ihrer Immobilien befürchten, wenn vor ihrer Tür die Namensschilder eingelassen werden. Dem sieht der Künstler gelassen entgegen, immerhin hat er in Berlin bereits mehrere hundert und in ganz Deutschland mehrere tausend dieser Erinnerungstafeln verlegt, und täglich kommen weitere hinzu. Die Aktion wird vor allem durch Spenden finanziert. Wer will, kann eine Patenschaft in Höhe von 95 Euro übernehmen.

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