Erfassungsstelle in Salzgitter war besonderes Hassobjekt -
Mit seinen 1981 erhobenen Geraer Forderungen kam SED- und Staatschef Erich Honecker nicht durch



Erich Honecker kam mit seinen Geraer Forderungen von 1981 und andern Vorstößen nicht durch. Auf Trödelmärkten kann man Spottkarten kaufen. (Foto: Caspar)

In einer Rede am 13. Oktober 1981 in Gera verlangte SED- und Staatschef Erich Honecker von der Bundesrepublik Deutschland weitgehende politische Zugeständnisse. Die so genannten Geraer Forderungen wurden hüben wie drüben aufmerksam registriert und kommentiert. Danach sollte die Elbgrenze in der Mitte des Stroms festgestellt, die der DDR-Führung besonders verhasste Zentrale Erfassungsstelle der Länderjustizverwaltungen für Gewaltverbrechen in Salzgitter aufgelöst, die DDR-Staatsbürgerschaft von der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und die Ständigen Vertretungen in Ostberlin und in Bonn in den Rang von Botschaften erhoben werden.

Honeckers Vorstoß wurde von der Bundesregierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und einem Teil der westdeutschen Öffentlichkeit entrüstet zurückgewiesen, in linken Kreisen und von Pazifisten hingegen als überlegenswert kommentiert.

Die Initiative des SED- und Staatschefs war ein verbales Muskelspiel, ein Versuchsballon, um die Stimmung auf der anderen Seite zu testen und gegenüber dem Westen Stärke zu demonstrieren. Auf einem Treffen mit Bundeskanzler Schmidt im Dezember 1981 auf Schloss Hubertusstock am Werbellinsee brachte Honecker noch einmal seinen Wunsch für die Erfüllung der Geraer Forderungen zum Ausdruck, doch kam er damit nicht durch. In den folgenden Jahren ließ Honecker von seinen Forderungen nicht ab, dann und wann tauchten sie in seinen Reden auf.

Rückblickend stellte Bundeskanzler Helmut Kohl, der im Oktober 1982 Helmut Schmidt abgelöst hatte, fest, es war und sei beschämend gewesen, „dass große Teile der deutschen Sozialdemokratie am liebsten gleich alle diese Forderungen von Erich Honecker erfüllt hätten. Zumindest bei einigen Forderungen wurden unter anderem auch Gerhard Schröder – der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete sollte später mein Nachfolger im Bundeskanzleramt werden – und der NRW-Ministerpräsident und spätere Bundespräsident Johannes Rau schwach und kamen dem SED-Regime aus ihrem Opportunismus heraus sehr entgegen. CDU und CSU dagegen lehnten Honeckers gesamten Forderungskatalog kategorisch ab.“ Die SED-Spitze habe also sehr genau gewusst, was von dem neuen Bundeskanzler zu erwarten war, woran sie mit ihm, Kohl, war und auf welchen Gebieten die größten Chancen bestanden, Fortschritte in den bilateralen Beziehungen zu erreichen. „Es war natürlich grober Unsinn, mir zu unterstellen, ich hätte die Absicht, eine ,Eiszeit’ in den innerdeutschen Beziehungen eintreten zu lassen. Gleich zu Beginn meiner Kanzlerschaft legte ich Wert auf den direkten persönlichen Kontakt zu Erich Honecker. Die Telefondiplomatie, wie ich sie auf vielen Gebieten praktizierte, war auch in der Deutschlandpolitik ein probates Mittel der Politik. Es war immer besser, miteinander zu sprechen, als Briefe zu schreiben und Schriftstücke auszutauschen.“

Für die SED- und Staatsführung war die Zentralen Erfassungsstelle im niedersächsischen Salzgitter ein besonderes Hassobjekt. Ihr wurde vorgeworfen, ein Relikt aus dem Kalten Krieg zu sein und sich in die inneren Angelegenheiten der DDR einzumischen. Am 24. November 1961, wenige Wochen nach dem Bau der Mauer, eingerichtet, hatte die Behörde die Aufgabe, Informationen über die politische Verfolgung sowie Tötungshandlungen und andere Vorkommnisse an der innerdeutschen Grenze und der Berliner Mauer zu sammeln und auf ihrer Grundlage Untersuchungen und Gerichtsverfahren gegen die Täter und ihre Hintermänner durchzuführen. Die Mitarbeiter der von der Bundesregierung und den Ländern finanzierten Erfassungsstelle stützen sich auf Beobachtungen an der Grenze, Aussagen von Flüchtlingen und ihren Angehörigen, Informationen von Überläufern und ehemaligen Gefangenen der DDR-Zuchthäuser. Bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst, die aus der DDR auf welchem Weg auch immer in die Bundesrepublik gelangt waren, erteilte die Erfassungsstelle Auskünfte darüber, ob diese eine Straftat in der DDR begangen haben, sofern man das ermitteln konnte, und welches Urteil gesprochen wurde. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 stellte die Zentrale Erfassungsstelle ihre Arbeit ein, die Verfolgung der Straftaten übernahmen Behörden in den neuen Bundesländern. In den Mauerschützenprozessen spielten die in Salzgitter gesammelten Unterlagen eine große Rolle. Nur ganz wenige Todesschützen wurden gerichtlich belangt, die Drahtzieher kamen, wenn überhaupt, mit geringen Gefängnisstrafen davon.

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