Klartext über die wirkliche Lage war unerwünscht -
Warum Funktionäre in der DDR mit parteichinesischem Kauderwelsch keine Blumentopf gewinnen konnten



Wer ständig die „Klassiker“ zitierte, war auf der sicheren Seite und musste seinen eigenen Kopf nicht anstrengen. Das Marx-Engels-Denkmal wurde 1986 in Ostberlin aufgestellt. (Foto: Caspar)

Parteichinesisch war das unverständliche Kauderwelsch, dessen sich Politiker, Ideologen und die Parteipresse in der DDR bedienten, wenn aktuelle politische und wirtschaftliche Probleme und Aufgaben erläutert werden mussten. Ständig die Klassiker des Marxismus-Leninismus zitierend und interpretierend, versuchten Funktionäre, Gesellschaftswissenschaftler, Journalisten und andere, dem Volk die Welt zu erklären und ihnen die Sieghaftigkeit des Sozialismus schmackhaft zu machen. Da jedoch die Visionen wenig mit den ziemlich tristen Realitäten im Lande übereinstimmten, kam es zu sprachlichen Verbiegungen und unbeholfenem Wortgeklingel. Hin und wieder nutzten Walter Ulbricht, Erich Honecker und weitere Funktionäre hohe Feiertage und Jubiläum, um das Volk mit ihren Verlautbarungen zu beglücken, stießen aber vielfach auf Unglauben und Ablehnung. Die Verwendung unverständlicher, nur angelernter Vokabeln und das Nachbeten von Klassiker-Zitaten führte die „Parteichinesen“ mitunter in eine ideologische Zwickmühle, wenn die wörtliche Umsetzung ihrer Sprüche eingefordert wurde.

Klartext über die angespannte wirtschaftliche und innenpolitische Lage im Lande zu reden und die Ursachen von Ineffektivität, Schlamperei und Planungsfehlern ehrlich zu benennen, war unerwünscht und auch gefährlich; man hätte offensichtliche Denkfehler sowie Gebrechen des Systems eingestehen müssen. Hellsichtige Zeitgenossen brachten die Hardliner in Partei und Staat gegen sich auf, wenn sie deren Sprüche zerpflückten und forderten, die Theorie mit der Praxis in Übereinstimmung zu bringen.

Besonders in der Aktuellen Kamera (AK) wurde die parteichinesische Sprach-„Kultur“ gepflegt. Die wichtigste Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens ging täglich von 19.30 bis 20 Uhr über den Bildschirm und begann in der Regel mit ermüdenden Berichten über Begegnungen der Führungsspitze in Partei und Staat mit Prominenten oder Werktätigen in Volkseigenen Betrieben und Kombinaten. Ohne Punkt und Komma wurden in der AK Parteitagsbeschlüsse und Kommuniqués von Tagungen des SED-Zentralkomitees und andere offizielle Verlautbarungen verkündet. Heute hören und sehen sich diese Sendungen wie Kabarettnummern an!

Für viele DDR-Bürger war es Pflicht, die DDR-Nachrichtensendung zu sehen, am nächsten Tag examinierte man sie am Arbeitsplatz. Da sie zum Glück nur bis 20 Uhr lief, konnte man getrost umschalten und sich die Tagesschau der ARD als Kontrastprogramm zu Gemüte führen, durfte im Allgemeinen aber über die vom Klassenfeind verbreiteten Informationen nicht sprechen.

Sein Urteil über die Verlautbarungen der Aktuellen Kamera fasste der regimekritische Schriftsteller Stefan Heym nach intensivem Betrachten der Nachrichtensendung so zusammen: „Die Sprache ist Hoch-DDRsch, gepflegt bürokratisch, voll hochtönender Substantiva, die mit den entsprechenden Adjektiven verbrämt werden; die Sätze erfordern langen Atem von den Sprechern und Konzentration von den Hörern. Erleichtert wird das Verständnis allerdings durch die im Text reichlich verstreuten Klischees: Codewörter eigentlich, die in den Köpfen eines durch Zeitungslektüre, Versammlungsberichte, Schulungskurse wohltrainierten Publikums sofort gewisse Gedankenverbindungen auslösen. Hätte man den Kanal etwa versehentlich eingeschaltet, man würde den Sender sofort identifizieren: So redet man nur im Fernsehen der DDR“. Natürlich erschien dieses Urteil über die, wie Heym schreibt, Sendungen von „beruhigender Einförmigkeit“ nicht in der DDR, sondern am 10. Februar 1977 im Hamburger STERN. Dem für die Aktuelle Kamera und überhaupt für die Medien zuständigen SED-Politbüromitglied Joachim Herrmann, seinem Chef Erich Honecker und den anderen „führenden Persönlichkeiten“ dürfte Heyms Urteil und die Kritik aus der Bevölkerung nicht gefallen haben. Geändert hat sie am drögen Verlautbarungsstil nichts.

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