Prager Botschaft war Sehnsuchtsziel und Notanker -
Warum diplomatische Vertretungen auf DDR-Bürger eine große Anziehungskraft hatten



Im Garten des Prager Palais Lobkowicz erinnert ein als „Trabant“ mit vier Füßen gestaltetes Bronzedenkmal an die DDR-Bürger, die hier vor 20 Jahren auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik warteten. (Foto: R. Glampe)

Die Eröffnung Ständiger Vertretungen in Ostberlin und in Bonn-Bad Godesberg am 2. Mai 1974 geht auf den Grundlagenvertrag zurück, der Ende 1972 zwischen den beiden deutschen Staaten abgeschlossen wurde. In der Schaffung solcher Einrichtungen manifestierte sich die neue deutsche Ostpolitik der von Willy Brandt geführten sozialliberalen Koalition. Nach dem Motto „Wandel durch Annäherung“ versuchte sie, die Folgen der deutschen Teilung zu mildern und die Beziehungen zwischen beiden Republiken zu entkrampfen. Zu den Aufgaben der Vertretungen gehörten die Aushandlung von politischen Abkommen und Wirtschaftsverträgen, aber auch die Klärung privatrechtlicher Fragen wie Familienzusammenführung und Erbschaftsangelegenheiten. Großen Raum nahmen in der Arbeit der Ständigen Vertretung in Ostberlin die Betreuung politischer Gefangener in DDR-Haftanstalten sowie der Häftlingsfreikauf ein.

Um zu verhindern, dass sich DDR-Bewohner ungenehmigt Einlass verschaffen, etwa um Asyl zu erbitten oder einem Ausreiseantrag Nachdruck zu verhelfen, manchmal auch nur um westliche Zeitungen zu lesen, stand die Ständigen Vertretung unter strenger Beobachtung durch die Staatssicherheit und die Volkspolizei. Da die Kontrollen anfangs wohl recht lax gehandhabt wurden, suchten DDR-Bewohner dann und wann in der bundesdeutschen Vertretung Zuflucht, um ihre Ausreise in den Westen voran zu bringen. Nachdem sich diese Fälle häuften, wurde das Haus 1977 vorübergehend durch ein Großaufgebot von Stasi und Polizei abgeriegelt. Nach Massenbesetzungen 1984 und 1989, bei denen zeitweise über 130 Menschen auf dem Gelände der Ständigen Vertretung zubrachten, wurde sie für einige Zeit ganz geschlossen. Mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 stellten die Ständigen Vertretungen ihre Arbeit ein.

Vor 20 Jahren erregte die Besetzung der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland weltweites Aufsehen. Auf dem Gelände des Palais Lobkowicz warteten tausende DDR-Bewohner oft mit kleinen Kindern sehnsüchtig auf ihre Ausreise in die Bundesrepublik. Dieses Begehren löste in Ostberlin hektische Betriebsamkeit aus. Bilder von den unter schlimmen hygienischen Bedingungen im Hof und im Garten Prager Botschaft kampierenden DDR-Bürger passten nicht zu der befohlenen Jubelstimmung anlässlich des bevorstehenden 40. Gründungstags der DDR am 7. Oktober 1989.

Die Nachricht, dass alle DDR-Flüchtlinge ausreisen dürfen, die in den deutschen Vertretungen in Prag und Warschau ausharren, verkündete Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher am Abend des 30. September 1989 vom Balkon des Palais Lobkowicz. Ihm brandete unbeschreiblicher Jubel entgegen, als er sagte: „Liebe Landsleute, ich bin heute zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ihre Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland bevor steht“. Als die Wartenden, für die die Prager Botschaft Sehnsuchtsziel und letzte Hoffnung war, begriffen hatten, dass die Züge über das Gebiet der DDR fahren soll, schlug die Stimmung um, denn natürlich mussten sie befürchten, aus den Zügen geholt und verhaftet zu werden. Das ist das nicht geschehen;die DDR-Regierung hätte sich sonst zusätzliche Probleme bereitet und wäre international vollkommen unglaubwürdig geworden. So ließ Honecker die von bundesdeutschen Beamten begleiteten Botschaftsflüchtlinge in versiegelten Waggons der Deutschen Reichsbahn über DDR-Territorium in die Bundesrepublik fahren. In Reichenbach im Vogtland auf DDR-Seite stiegen Stasi-Leute ein, um den Passagieren ersatzlos die Personalpapiere abzunehmen, was als letzte Gemeinheit empfunden wurde und zu weiterer Verbitterung führte. Bevor sich die Züge in Bewegung setzten, öffnete ein junger Mann ein Fenster und warf sein letztes DDR-Geld auf den Bahnhof, und auch andere Leute entledigten sich ihrer Schlüssel, Ausweise und anderer Habseligkeiten.

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