Die Legende vom „antifaschistischen Schutzwall“ –
Ulbricht deutete den Mauerbau vom 13. August 1961 in Sieg des Sozialismus über den Kapitalismus um



Die ehemalige Übergangsstelle Marienborn ist seit 1996 eine Gedenkstätte. Zahlreiche Bauten zur Kontrolle der Transitreisenden blieben erhalten und stehen unter Denkmalschutz. Verschlungene Hände bekräftigen und erinnern daran, dass ein Volk auf Dauer nicht getrennt werden kann. (Foto: Caspar)

Als in den frühen Stunden des 13. August 1961, an einem Sonntag, quer durch Berlin und entlang der deutsch-deutschen Grenze Stacheldraht ausgerollt, Straßen abgesperrt und die Bahnverbindungen unterbrochen wurden, war eine neue Geschichtslegende geboren. Dieser „antifaschistische Schutzwall“ sei gebaut worden, um westlichen Agenten und Provokateuren das Handwerk zu legen und den Ausverkauf der DDR zu beenden, tönte die DDR-Propaganda. Die Sperrmaßnahmen hätten den Frieden in Deutschland, ja in der Welt gerettet. Kein Wort davon, dass die Maßnahmen von langer Hand vorbereitet worden waren.

SED-Chef Walter Ulbricht war bereits im März 1961 vom Zentralkomitee ermächtigt worden, in Moskau für die Schließung der Grenzen in und um Berlin sowie zwischen beiden deutschen Staaten nachzusuchen, doch zeigte sich die Sowjetunion zunächst zurückhaltend. Das Problem wurde brisant, als täglich tausende DDR-Bewohner in den Westen flohen, weil ihnen das Leben im Arbeiter-und-Bauern-Staat durch die von Ulbricht praktizierte Politik unmöglich wurde. Da der Sachse mit der Fistelstimme eigene Fehler nicht zugeben wollte, weil ihn das die Macht gekostet hätte, schob er die Verantwortung für die Entwicklung dem Westen und seinen Abwerbemaßnahmen zu und deutete den Mauerbau in einen Sie des "sozialistischen Weltsystems" über den Kapitalismus und Imperialismus und weitere "ismen" um.

Mit der Definition der Mauer als antifaschistischer Schutzwall versuchte die DDR, ihrer auf Beendigung der Fluchtbewegung von Ost nach West, Eindämmung westlicher Einflüsse auf die eigene Bevölkerung und Konsolidierung der Verhältnisse im Inneren abzielenden Maßnahme ein geschichtlich positives Mäntelchen umzuhängen. Die DDR-Oberen hatten bis zum Fall der Mauer am 9. November 1989 große Mühe, diese Argumentation glaubhaft zu machen und boten ihr ganzes politisches und propagandistisches Arsenal auf, der wachsenden Kritik an der Mauer zu begegnen.

Dank ausgeklügelter Signal- und Selbstschussanlagen, Sperren und Minenfelder erlaubte die nach und nach zur High-tech-Grenze ausgebaute und von unzähligen schwer bewaffneten Soldaten bewachte Anlage praktisch kaum noch ein Durchkommen. Obwohl die DDR wirtschaftlich am Boden lag, wurden Unsummen zur technischen Aufrüstung des todbringenden Sperrgürtels ausgegeben. Ziel war es, Flüchtlinge schon im Vorfeld abzufangen und so Schüsse zu vermeiden. Denn nichts schadete so sehr dem internationalen Ansehen der DDR als Bilder von Toten und Verwundeten an der ihrer Grenze.

Nach der überraschenden Öffnung der Mauer wurden die ersten Betonsegmente beseitigt, schon bald folgten Wachtürme, Meldevorrichtungen und Schussfelder. Einige Betonteile stehen, wenn sie nicht gleich von so genannten Mauerspechten mit Hammer und Meißel zu Souvenirzwecken zerhackt wurden, als stumme Zeugen einer menschenverachtenden Diktatur in Museen und Parkanlagen. Abweichend von der Anfang der neunziger Jahre vorherrschenden Auffassung, sich möglichst rasch und umfassend von den Resten der Mauer zu trennen, steht heute fest, dass die noch vorhandenen Elemente als wichtige Zeugnisse der jüngsten deutschen Geschichte erhalten werden müssen. Das längste Mauerstück in Berlin blieb entlang der der Spree im Bezirk Friedrichshain erhalten. Die seit 1990 von über einhundert Künstlern aus 24 Ländern immer wieder neu bemalte East Side Gallery an der Mühlenstraße ist eine internationale Berühmtheit, die jetzt durchgreifend saniert wird.

Welcher Aufwand getrieben wurde, um Reisende von Ost nach West und umgekehrt zu kontrollieren und „Republikfluchten“ zu verhindern, kann man an der früheren Übergangsstelle Helmstedt-Marienborn zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sehen. In den alten Abfertigungshallen an der Autobahn 2 wurde am 13. August 1996 die Gedenkstätte „Deutsche Teilung Marienborn“ eröffnet. Hier können Besucher die Passkontrolle, die PKW-Einreise und Ausreise, den Kommandoturm und andere Überwachungseinrichtungen kennenlernen.

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