Weichen für den Zug zur Wiedervereinigung gestellt -
Vor 20 Jahren geriet der Aufruf „Für unser Land“ bald wieder in Vergessenheit



Das große DDR-Staatswappen über der Ehrentribüne vom Palast der Republik erhielt im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden in Berlin Asyl. (Foto: Caspar)

Dass der Zug in Richtung Wiedervereinigung fährt, war nach der friedlichen Revolution vor 20 Jahren unverkennbar, und auch dass die Lokomotive Bundeskanzler Helmut Kohl ist. Sein Konzept einer schnellen Vereinigung wurde von vielen Ostdeutschen jubelnd begrüßt. Lieber heute als morgen wollten sie sich mit der Bundesrepublik nach Artikel 23 des Grundgesetzes vereinigen, in dem es in der Fassung von 1949 heißt: „Dieses Grundgesetz gilt zunächst im Gebiete der Länder Baden, Bayern, Bremen, Groß-Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. In anderen Teilen Deutschlands ist es nach deren Beitritt in Kraft zu setzen“. Doch nicht alle Ostdeutschen wollten diesen Weg beschreiten, weil sie fürchteten, dass ihnen ein fremdes, feindlich empfundenes System übergestülpt wird und es einen Ausverkauf von Errungenschaften gibt, nach Überwindung der SED-Diktatur beibehalten werden sollten.

Wohl auch unter dem Einfluss von Medien stehend, die dem amtierenden Bundeskanzler Helmut Kohl nicht wohl gesonnen waren, wurde in der Noch-DDR mit Plakatinschriften und Sprechchören „Wir lassen uns nicht verKOHLen“, „Zehn Punkte von Kohl – außen glänzend, innen hohl“ oder „Lieber das Land gereinigt als wiedervereinigt“ gewettert. All das Zetern, alle Bedenken und Erwägungen, all die Visionen und die mehr oder minder klugen Modelle – sie nutzten nichts, denn die Weichen waren auf Wiedervereinigung gestellt, der Druck von unten ließ sich nicht ignorieren.

In einem unter dem Titel „Für unser Land“ am 26. November 1989 veröffentlichten Appell beschrieben Vertreter des Kultur- und Geisteslebens der DDR und solche aus der Bürgerbewegung in wolkigen Worten sowohl die tiefe Krise, in der der zweite deutsche Staat steckt, als auch ihre Vorstellungen für einen Neubeginn. Unverkennbar lief der Aufruf auf ein Nebenherbestehen zweier deutscher Staaten für längere Zeit hinaus. „Wie wir bisher gelebt haben, können und wollen wir nicht mehr leben. Die Führung einer Partei hatte sich die Herrschaft über das Volk und seine Vertretungen angemaßt, vom Stalinismus geprägte Strukturen hatten alle Lebensbereiche durchdrungen. Gewaltfrei durch Massendemonstrationen hat das Volk den Prozess der revolutionären Erneuerung erzwungen, der sich in atemberaubender Geschwindigkeit vollzieht. Uns bleibt nur wenig Zeit, auf die verschiedenen Möglichkeiten Einfluss zu nehmen, die sich als Auswege aus der Krise anbieten.“

Der Aufruf setzte sich für die Entwicklung einer solidarischen Gesellschaft in der DDR ein, in der Frieden und soziale Gerechtigkeit, Freiheit des einzelnen, Freizügigkeit aller und die Bewahrung der Umwelt gewährleistet sind. Die Alternative zur weiteren Eigenständigkeit der DDR sei die Vereinnahmung der DDR durch die Bundesrepublik, doch das sei kein Weg. Deshalb endet der Aufruf mit diesen Worten: „Lasst uns den ersten Weg gehen. Noch haben wir die Chance, in gleichberechtigter Nachbarschaft zu allen Staaten Europas eine sozialistische Alternative zur Bundesrepublik zu entwickeln. Noch können wir uns besinnen auf die antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen sind. Alle Bürgerinnen und Bürger, die unsere Hoffnung und unsere Sorge teilen, rufen wir auf, sich diesem Appell durch ihre Unterschrift anzuschließen“.

Das Echo auf den von Bürgerrechtlern wie Ulrike Poppe, Friedrich Schorlemmer, Konrad Weiss sowie von Vertretern des Kultur- und Geisteslebens wie Stefan Heym, Walter Janka, Jutta Wachowiak und Christa Wolf unterzeichneten Aufruf „Für unser Land“ war unterschiedlich. Es gab sowohl große Zustimmung als auch scharfe Ablehnung. Viele Ostdeutsche waren für ein Fortbestehen der DDR nicht mehr zu haben. Dass sich einige in Misskredit geratene Vertreter des SED-Regimes und wendige Ideologen wohlwollend über den Aufruf äußerten und ihn gar unterzeichneten, tat seiner Wirkung Abbruch. Die dramatischen Ereignisse um die Jahreswende 1989/90 sorgten dafür, dass „Für unser Land“ schon bald in der Versenkung verschwand, wie andere auf das Fortbestehen der Zweistaatlichkeit in Deutschland beziehungsweise auf eine Konföderation beider deutscher Staaten und andere Modelle zielende Konzepte auch.

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