Schwierigkeiten mit dem Wort Wende -
Egon Krenz war vor 20 Jahren nach Honeckers Sturz zu einem wirklichen Neubeginn nicht bereit



Im so genannten Wendeherbst gemalte und im Deutschen Historischen Museum Unter den Linden in Berlin ausgestellte Transparente warnen vor Volksbetrug. (Foto: Caspar)

Unmittelbar nach der Entmachtung Erich Honeckers als SED-Generalsekretär und Staatsratsvorsitzender gab dessen Nachfolger Egon Krenz am Abend des 18. Oktober 1989 in Anlehnung an Lenin berühmtes Wort „Lernen, lernen und nochmals lernen“ die Parole „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ aus. Der Plan der Parteiführung, das erneuerte und verjüngte „Staatsschiff DDR“ wieder in ein ruhiges Fahrwasser lenken zu können, ging nicht auf. Indem Krenz Nachfolger von Honecker wurde, hatte die SED-Führung den Bock zum Gärtner gemacht. Er und seine Genossen dachten nicht im Mindesten daran, ihren Alleinherrschaftsanspruch aufzugeben und sich einer freien, demokratischen Wahl zu stellen und den Sozialismus an Haupt und Gliedern zu erneuern.

Was dem längst fälligen Abgang von Honecker folgte, nannte man „Wende“. Die dramatischen Wochen damals heißen Wendeherbst, und wer schnell auf den fahrenden Zug sprang, wurde als Wendehals verspottet. Der Begriff Wende ist gängig und irgendwie einprägsam, aber er ist ungenau, ja er ist politisch diskreditiert, denn bereits in den Endtagen der Honecker-Herrschaft wurde in Parteikreisen scheinheilig von Wende gesprochen. Politbüromitglied Kurt Hager, zuständig für alles, was mit Ideologie, Kunst und Wissenschaft zu tun hatte und übel beleumdet als „Tapeten-Kutte“, äußerte sich am 13. Oktober 1989 gegenüber dem KPdSU-Politbüromitglied Wadim Medwedjew, insgesamt vollziehe sich im Leben der DDR „eine große Wende im Sinne der Losung von Kontinuität und Erneuerung“, wobei der Akzent auf Erneuerung liege. In dieser stürmischen Zeit sei es notwendig, den Kurs zu halten, keinen Pessimismus zuzulassen und die Werte des Sozialismus zu verteidigen.

Krenz & Co. waren nicht bereit, eine Wende zu vollziehen, die diesen Namen verdient; erlaubt waren nur kleine Kurskorrekturen und Schönheitsoperationen. Am 30. Oktober 1989 erklärte der neue Mann an der Spitze der SED und der DDR gegenüber Absolventen der Militärakademien, die „Wende“ bedeute keine Abkehr vom Sozialismus. So viele Fragen es auch gegenwärtig geben mag, es stehe außer Frage, dass die Zukunft der DDR im Sozialismus und nirgendwo anders liegt. „Die Bürger aller Klassen und Schichten, unsere Mütter und Väter, wir und unsere Kinder, wir alle gemeinsam haben nicht unter großen Anstrengungen eine sozialistische Republik errichtet und gegen alle Attacken des Klassengegners verteidigt, um sie ihm als Geschenk zu überreichen“. Die Wende sei ein „noch stärkeres Hinwenden zum Sozialismus, eine bewusstere Erschließung seiner Möglichkeiten, eine noch unmittelbarere Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger unseres Landes in die Gesellschaftsgestaltung“.

In seinem Buch „Herbst ’89“ beschrieb Egon Krenz später, wie es zur Ablösung von Honecker kam und was folgte. Man hätte für die auf die Amtsenthebung Honeckers folgende Entwicklung auch die Wörter „Perestroika“ oder „Glasnost“ verwenden können, das hätte jeder verstanden, doch wollte er, Krenz, sie nicht abschreiben. „Ich muss einen deutschen Begriff finden, der sowohl die Hinwendung auf das Bewährte aus 40 Jahren DDR zulässt als auch deutlich macht, dass wir uns abwenden von allem, was unser Land in die gegenwärtige Situation gebracht hat“. Daher erklärte der neue SED-Generalsekretär vor dem Zentralkomitee: „Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten“. Die Tür sei für einen innenpolitischen Dialog weit geöffnet, alle Probleme in unserer Gesellschaft seien politisch lösbar. Mit diesem Satz nahm Krenz eine Formulierung auf, die schon Honecker in seiner Festrede zum 40. Jahrestag am 7. Oktober 1989 verwendet hatte, um sich Mut zu machen und seine Untertanen zu beruhigen. Auch in der Wortwahl unterschied sich Krenz nicht von seinem Schulmeister Honecker.

Gegenüber Bundeskanzler Helmut Kohl erklärte Egon Krenz, er habe bei seinem Amtsantritt bewusst nicht vom „Umbruch“ in der DDR, sondern von „Wende“ gesprochen. Wie Kohl diese Formulierung empfand, wissen wir nicht, hatte er doch 1983 in einer Regierungserklärung eine „geistig-moralische Wende“ verkündet und damit eine Art Wiederbelebung traditionell-konservativer Werte gemeint. Bereits 1958 hatte der damalige DDR-Ministerpräsident Otto Grotewohl anlässlich des zehnten Gründungstags der DDR erklärt, die Gründung und der Aufstieg des Arbeiter-und-Bauern-Staates sei eine große Wende in der Geschichte der deutschen Nation gewesen.

Die Beispiele mögen zeigen, dass man beim Gebrauch des Begriffs Wende Vorsicht walten lassen und, wenn er sich nicht vermeiden lässt, von so genannter Wende sprechen sollte.

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