"So wie es ist, bleibt es nicht" - Von Blockflöten, Wendehälsen und einem Sozialismus mit menschlichem Antlitz



Honecker in Zuchthauskluft – diese Forderung im Wendeherbst 1989 blieb ein Wunsch, denn der ehemalige SED- und Staatschef kam ungeschoren davon und starb 1994 im chilenischen Exil.



Am 4. November 1989 kamen auf dem Ostberliner Alexanderplatz unzählige Menschen zusammen, um ihre Forderung nach einer Wende, die diese Bezeichnung verdient, zu unterstreichen. (Repros: Caspar)

Der Plan, im Herbst 1989 nach dem Auswechseln von SED-Spitzenfunktionären das angeblich „erneuerte“ Staatsschiff DDR wieder in ruhige, sozialistische Fahrwasser zu lenken, ging nicht auf. Was nach dem als Rücktritt asngeblich aus Gesundheitsgründen kaschierten Sturz des SED- und Staatschefs Erich Honecker am 18. Oktober 1989 in der kurzen Ära seines Nachfolgers Egon Krenz über Machtmissbrauch, Stasispitzelei und Korruption bekannt wurde, war empörend. Irgendwie hatte man das eine oder andere gewusst oder geahnt. Doch dass es nun so „dicke“ kommen würde und auch der Staatsbankrott der DDR solch gewaltige Ausmaße hat, übertraf alle Befürchtungen. So gärte es in der Bevölkerung, und es hagelte Austritte aus der SED, den Blockparteien und der Einheitsgewerkschaft FDGB.

Am 4. November 1989 kamen fast eine Million Ostberliner auf dem Alexanderplatz zur größten freien Demonstration zusammen, die die DDR in ihrer 40jährigen Geschichte gesehen hat. Plakate mit Aufschriften wie „Stasi an die Stanze“, „Öko-Daten ohne Filter“, „Kein Artenschutz für Wendehälse“ oder „Rücktritt ist Fortschritt“ und „Sägt die Bonzen ab - nicht die Bäume“ wurden hoch gehalten, dazu Bilder von Honecker hinter Gittern und eine Karikatur von Egon Krenz als zähnefletschender, Kreide fressender Wolf im Märchen vom Rotkäppchen. Mit Wendehälsen waren jene Leute gemeint, die schnell die Kurve zu kriegen versuchten und behaupteten, schon immer für einen besseren Sozialismus, für Demokratie und Pluralität gewesen zu sein, doch nicht genug Macht und Einfluss gehabt zu haben, diese Forderungen angesichts der Starrsinnigkeit von Honecker & Co. durchzusetzen.

Unter die Kategorie der damals vielzitierten Blockflöten fielen Mitglieder der in der Volkskammer als Staffage und zum Akklamieren benötigten so genannten Blockparteien CDU, LDPD, NDPD und Bauernpartei sowie Angehörige der FDJ, der Vereinigung der Gegenseitigen Bauernhilfe und des Kulturbundes, die in einem Wahlblock zusammengeschlossen und von der SED angeleitet und gegängelt wurden. Manche dieser Blockflöten machten später bei den etablierten Parteien im vereinigten Deutschland Karriere, während man von engagierten Mitgliedern der Bürgerbewegung schon bald nichts mehr hörte.

Jubelnder Beifall brauste an jenem 4. November 1989 auf, als die Schauspielerin Steffi Spira Brecht mit den Worten „So wie es ist, bleibt es nicht“ zitierte und die Wandlitzer Politbürokraten zum „Abtreten“ aufforderte. „Ich wünsche mir für meine Urenkel“, sagte die Achtzigjährige, „dass sie ohne Fahnenappell und ohne Staatsbürgerkunde aufwachsen können“. Eiskalt ging es vielen den Rücken herunter, als der bisher vom SED-Regime geächtete Schriftsteller Stefan Heym der Menge zurief „Es ist, als habe einer die Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation - der geistigen, der wirtschaftlichen, der politischen, nach all den Jahren der Dumpfheit und des Miefs, des Phrasengewäschs und der bürokratischen Willkür“. Die Schriftstellerin Christa Wolf warnte vor Wendehälsen und Trittbrettfahrern und forderte die reichlich erschienenen Polizisten und Sicherheitsleute auf: „Zieht euch um und schließt euch an“.

Ausgesprochen wurde auf dem Alex die Hoffnung auf einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, denn zu diesem Zeitpunkt, fünf Tage vor dem Fall der Berliner Mauer, war die Wiedervereinigung bei den meisten noch außerhalb jeder Vorstellungskraft.

Die sich scheinbar locker, irgendwie verjüngt gebende Partei- und Staatsführung mit Egon Krenz an der Spitze, aber nahezu in derselben Zusammensetzung wie bei seinem Vorgänger Honecker agierte kopflos, beging einen Fehler nach dem anderen. Krenz räumte gewisse „Anzeichen politischer Arroganz“ ein und beklagte, die „gut gemeinten Ratschläge unserer besten Freunde“, also Gorbatschows Warnungen, in den Wind geschlagen zu haben. Die späte Reue nutzte nichts, das alte Regime versank im Orkus der Geschichte, und bald schon waren die Weichen auf die Wiedervereinigung gestellt.

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